Ich habe dieses Video schon vor einiger Zeit gesehen und ja, es spricht sicherlich unsere Herzen an. Aber ich wäre nicht ich, wenn ich das einfach so stehen lassen könnte. In meinen Augen (und das kommentierte ich damals auch unter dieses Video bei FB) vermittelt dieses Video einfach ein falsches Bild von dem, was Demenz mit den Betroffenen und auch ihren Angehörigen wirklich macht. Pflegende Angehörige sind oftmals meilenweit entfernt von schönen Erlebnissen und einem friedvollen Miteinander. Natürlich ist das nicht die Intention dieses Videos, ich verstehe das wohl, aber mir ist es im Bezug auf dieses Problem einfach zu oberflächlich und vermittelt all denen, die diese Situation (noch) nicht kennen, ein falsches Bild.
Ich komme aus der Altenpflege und weiß, wie unschön sich eine Demenz für den Betroffenen auswirken kann. Da ist nicht nur die Verwirrtheit in sich, sondern auch die Verwirrtheit über die Gefühle, die gestresstes Personal oder Angehörige einem entgegen bringen. Da sind die kurzen, aufflackernden Momente, die ich immer wieder auch bei diesen Menschen erleben durfte, die klar sind und in denen der Betroffene in einen tiefen Schmerz über seinen Zustand gestoßen wird.
Da ist für Pflegepersonal der Moment, in dem sich Herr XYZ einfach am Mittagstisch vor versammelte Mannschaft die Hose runterzieht und neben seinen Stuhl uriniert, nur weil er simpel vergessen hat, was eine Toilette ist oder wie man sie benutzt. Da sind Pflegekräfte, die heutzutage keine Zeit mehr für die alten Menschen haben, weil sie in Dokumentationspflichten und Personalmangel verkommen (die Pflegeversicherung ist in meinen Augen schon immer der Tod der qualitativen Altenpflege gewesen). Es mag Häuser geben, in denen es noch Supervisionen für das Personal gibt, aber im allgemeinen Rechenexempel, das unser Staat aufzieht, sind solche Dinge meistens nicht mehr vorgesehen.
Für Pflegenden zu Hause kommen noch sehr viel mehr persönliche Belange hinzu. Du hast niemals Feierabend, zu keinem Zeitpunkt des Tages. Du wechselt u.U. dreimal am Tag die Bettwäsche, weil dein dementer Vater wieder einmal in seinen Windelhosen gekramt und den Kot nicht nur auf sich, sondern auch im ganzen Bett verteilt hat. Deine eigenen sozialen Kontakte schlafen, je nach Dauer der heimischen Pflegetätigkeit, ein und u.U. kannst du monate- bis jahrelang nichts anderes mehr tun, als dich um deinen Vater oder deine Mutter zu kümmern. Und wenn du weißt, dass deine Mutter verwirrter und wieder ein Stückchen knapper an Ressourcen aus der Kurzzeitpflege nach Hause kommt, weil sie die Umstellung einfach nicht verpacken kann, kannst du über das Angebot der Krankenkasse für 3 Wochen Urlaub im Jahr nur müde lächeln. Häufig treten in diesem engen Kontakt zwischen Kindern und Eltern auch noch interfamiliäre, ungeklärte Konflikte zu Tage, die keinem der Beteiligten zuträglich sind.
Die Dinge sind oftmals nicht so, wie wir sie gerne sehen wollen oder sie uns suggeriert werden. Ich kenne den pflegerischen Akt eines alten Menschen aus eigener Erfahrung mit damals zwei kleinen Kindern, als ich mich um meine 75 Jahre alte, kranke Schwiegermutter gekümmert habe und weiß, dass man darin einfach an seine Grenzen kommt. Das war eine Zeit in meinem Leben, in der ich gelernt habe, viele Dinge aus einer anderen Warte zu sehen. Deswegen bin ich vielleicht so meilenweit entfernt von jeglicher romantischer Vorstellung, was den dementen Großvater auf der Bank angeht.
Versteht mich nicht falsch: das Video ist berührend und erfüllt bestimmt seinen Zweck... aber die Realität sieht doch einfach oft anders aus... und vielleicht kann ich den jungen Mann auf der Bank einfach auch ein bisschen verstehen.