Ich beschäftige mich seit über 15 Jahren mit dem Familienstellen. Angefangen hat alles mit einer eigenen Psychotherapie, in der ich es mit Kissen (!) als Platzhalter praktiziert habe. Damals lag für mich sehr viel Lösungspotential darin, dass ich mich auf die Plätze meiner eigenen Familienmitglieder stellen und somit einen tiefgehenden Konflikt mit meinem Vater lösen konnte. Das hat mich nicht nur damals sehr beeindruckt, sondern klingt auch heute noch nach, wenn ich meinem Vater begegne.
Dazu kommt, dass meine Mutter Aufstellerin nach Hellinger ist und ich auch damit sehr häufig als Stellvertreterin an Aufstellungen teilgenommen habe. Angesichts dieser praktischen Einsicht fing ich vor ca. 5 Jahren an, mich intensiv mit der Theorie des Familienstellens und auch Hellinger auseinanderzusetzen. Seit gut einem Jahr nehmen ich regelmäßig als Stellvertreterin an Aufstellungen nahe meines neu gewählten Heimatorts teil. Ich bin dabei auf eine HPP gestoßen, die dies in meinen Augen mit sehr viel Liebe zu den Menschen praktiziert. So durfte ich über 2 eigene Aufstellungen in den letzten 12 Monaten selber wieder einmal erleben, wie sich Probleme lösen können und vor allem in welcher Geschwindigkeit!
Ich erlebe das Aufstellen immer wieder als intensive, berührende Erfahrung, in der sich Menschen in einer Gruppe zueinander finden, die sich gegenseitig mit ihrem Einsatz unterstützen. Für mich ist nichts Voyeuristisches dabei. Im Gegenteil: ich bin immer wieder fasziniert, wie nah sich eingangs fremde Menschen am Ende einer Aufstellung sind.
Hellinger selber ist nicht unumstritten und wenn man seinen Namen nur googelt, wird man all die Horrorgeschichten und viele Falschinterpretationen lesen, die zu ihm kursieren. Hellinger betont immer wieder, dass er keine „Lehre“ oder Theorie geschaffen hat, sondern das er Phänomenologe sei. Er schaut dabei auf das, was ist, statt sich mit den Vorstellungen und Interpretationen des Klienten zu beschäftigen oder selbst Theorien zu entwickeln. Phänomenologisch zu arbeiten beschreibt wie folgt: "Ich setze mich einem größeren Zusammenhang aus, ohne dass ich ihn verstehe. Ich setze mich dem aus, ohne die Absicht zu helfen, auch ohne die Absicht etwas zu beweisen. Ich setze mich dem aus ohne Furcht vor dem, was hochkommt. Ich fürchte mich auch nicht, wenn etwas Entsetzliches hochkommt. Ich setze mich all dem aus, so wie es ist." (Quelle: „Anerkennen was ist: Gespräche über Verstrickung und Lösung“ von Gabriele ten Hövel und Bert Hellinger (Arkana 2006), S. 37)
Genau darin liegt für viele Menschen das Problem: das Ertragen von all den entsetzlichen Dingen, die Menschen jeden Tag erleben müssen oder in ihrer Vergangenheit erlebt haben. Wir wollen helfen, wir wollen trösten, wir wollen eigentlich für denjenigen, dass dies nie passiert ist. Nur kommen wir so nicht weiter und das meint Hellinger mit "Anerkennen was ist". Ich sehe deinen Schmerz, aber ich leide nicht mit dir. Ich sehe dich als Opfer, das du geworden bist, aber ich sehe auch den Täter. Die Täter verurteilt Hellinger nicht oder bringt Opfer salbungsvoll dazu zu verzeihen. Im Gegenteil: Hellinger lässt die Täter ihre Schuld nehmen, halten, ansehen und tragen bis der Täter wirklich spürt, was passiert ist, was er getan hat. Und genau DAS löst in dem Opfer etwas aus, nicht unbedingt das Verzeihen, sondern über das "Anerkennen was (geschehen) ist" des Täters eine Art "Zufriedenheit des Gesehen-werdens", die heilen kann.
Das nur mal als kleiner Ausflug in die Welt von Hellinger.
Ich kann mir vorstellen, wenn du das erste Mal ohne große Vorbereitung in eine Aufstellung hineingegangen bist, dass dich das sehr verwirrt hat! Ein bisschen theoretische Einführung lasse ich denen, die ich mitnehme, schon zukommen... einfach nur, damit sie wissen, auf was sie sich einlassen. Dazu zählt, dass ich den Leuten auch erkläre, wie eine Aufstellung rein praktisch funktioniert und wie das, was dort geschieht, wirkt. So weit man das phänomenologische Wirken denn überhaupt erklären kann...
Dass dort Sätze gesprochen werden, die vom Aufsteller vorgegeben werden, erscheint vielen anfangs auch sehr komisch. Das sind die sog. "erlösenden Sätze", die Hellinger aufgrund jahrelanger Beobachtungen von "festen Ordnungen im Familiensystem" geprägt hat. Ich erlebe immer wieder, dass Stellvertreter eigene Sätze kreieren, wie z.B. "Ich hab dich doch lieb!!", dann spüre ich als ihr Gegenüber in den Aufstellungen immer wieder: ja, das sagt der Stellvertreter jetzt, weil ER als STELLVERTRETER das so sagen würde, aber die Person, die dieser Mensch darstellt, würde das nicht tun oder gar spüren. Vor einiger Zeit war ich in einer Aufstellung ein Kind, dem der Vater immer wieder sagte: "Ich liebe dich doch! Ja, aber ich liebe dich doch!". Und ich spürte einfach nichts bei seinen Worten... erst als er sagte: "Ich verbringe gerne Zeit mit dir!", da machte es in mir dieses kleine "Pling" und ich (das Kind!) konnte die Aussage annehmen. Man spürt einfach (auch körperlich), wenn es stimmt.
Und noch mal ein kleiner Ausflug zu Hellinger ...er ist im Übrigen nicht der "Entwickler" des Familienstellens! Das geht ursprünglich nämlich auf Virginia Satir, eine bedeutende Familientherapeutin, die oft auch als "Mutter der Familientherapie" bezeichnet wird, zurück. Hellinger lernte die Familienrekonstruktion bei Virginia Satir kennen und entwickelte sie nach seinen Vorstellungen weiter. Viele Menschen haben ein Problem mit seinem oft autoritären Auftreten, das sie grundsätzlich nicht nur therapeutisch, sondern auch rein menschlich für äußerst fragwürdig halten. Ich habe Bert Hellinger noch nie live erlebt (und werde ich wohl auch nicht mehr, weil der Mann mir einfach zu viel kostet! ), aber ich habe sehr viele engagierte, liebevolle Aufsteller, die nach seiner Methode praktizieren, erlebt. Therapeuten, die ihre Klienten weder vorher, noch nachher alleine lassen. Aber in einem gebe ich Hellinger Recht: nicht ICH als Therapeut wirke, wenn beim Klienten etwas geschieht, sondern die Begegnung mit der Wirklichkeit und die Zustimmung des Klienten dazu. Gute und effektive Psychotherapie besteht für Hellinger darin, dass der Psychotherapeut sich möglichst rasch überflüssig macht. Und DAS sehe ich auch so.
Ich habe mich viel mit Hellinger beschäftigt und habe Jahre gebraucht, um zu verstehen (auch im Herzen), was der Mann eigentlich meint... aber ich will weder mich, noch Hellinger an dieser Stelle verteidigen. Darin bin ich inzwischen extreeeeem entspannt geworden!
Zum Familienstellen gehört aber auch das Sich-Einlassen. Sich einlassen auf das, was mir als Stellvertreter in den Kopf kommt oder welche Bewegungsimpuls ich bekomme. Für Aufstellungsarbeit tut ein bisschen Übung als Stellvertreter nicht schlecht, denn man muss unterscheiden lernen zwischen "das ist ein Gefühl von mir" oder "das ist ein Gefühl des Menschen, den ich darstelle". Deswegen hat Familienstellen für micht nichts mit "schauspielern" zu tun, bei solchen Vorwürfen reagiere ich sehr empfindlich, weil es einfach nicht stimmt. (Mag für die Stellvertreter gelten, die sich nicht einlassen können....)
Aaaach, ich könnte noch so viel erzählen, aber der Beitrag ist indess schon so lang geworden, dass ich fürchte, dass ihn niemand mehr ganz lesen wird.
Wenn aber jemand mal mehr Interesse hat zum Thema Aufstellungsarbeit... ich habe da vor 2 Jahren in der Sommerakademie mal einen kleinen Vortrag gehalten... vielleicht können wir uns mal einer Gruppe im WebEx zusammenfinden und darüber sprechen. (Corinna hat vielleicht auch noch was beizutragen?! )
In diesem Sinne: genug von mir an dieser Stelle!
Liebe Grüße,
Asja