Wie konnte ich ahnen, dass es nicht lange dauern würde und ich auf der anderen Seite des Bettes lag. Ende April diesen Jahres diagnostizierte man mir ein nicht-kleinzelliges Lungenkarzinom mit einer EGFR-Mutation (ev. mein Glück). Diese Mutation bedeutet, dass meine Krebszellen über Rezeptoren verfügen, an die die Chemo bzw. Tablettenchemo andocken können und diese am Wachstum hindern. Aber bis es soweit war mit dieser Diagnose habe ich die Hölle erlebt.
Ich bin im Saarland in eine Augenklinik eingewiesen worden, weil ich angeblich eine Netzhautablösung hatte. Man veranlasste ein Staging, es wurde ein Ganzkörper_MRT gemacht und so ziemlich jeder Facharzt nahm sich meiner an mit diversen Untersuchungen. Was man fand war ein Lungenkarzinom mit Metastasen in den Augen, Gehirn, Leber, Knochenmark und Nebennierenrinde. Zunächst realisierte ich das alles gar nicht. Dann aber fiel ich in ein großes Loch, war nicht mehr wirklich ansprechbar und hatte Panikattacken. Ich hatte Angst vor dem Sterben. Dies veranlasste den Oberarzt, mir, ohne Absprache, Psychopharmaka zu verabreichen. Daraufhin schlief ich von abends bis zum nächsten Mittag. Da stand dann mein Mittagessen, dass ich aufgrund der Metastasen in meinen Augen gar nicht mehr erkennen konnte. Entweder war es kalt oder ich konnte aufgrund dieser sehr starken Sehstörung nicht erkennen, was auf dem Teller lag. Hilfe von Schwestern? Fehlanzeige! Ganz im Gegenteil: trotz Bitten, mir doch beim Waschen zu helfen, ließ man mich 4! Tage im eigenen Saft schmoren. Ich dachte immer, so etwas passiert nur alten Menschen. Dass ich Psychopharmaka verabreicht bekam, merkte ich daran, dass ich Psychosen entwickelte und Situationen zweimal erlebte. Der Oberarzt stand ständig an meinem Bett und wollte eine Entscheidung von mir. Nur wußte ich nicht, was ich denn entscheiden sollte, denn er sprach immer vom Hospiz. Und da wollte ich zunächst mal gar nicht hin. Um die Psychopharmaka wieder los zu werden, unterschrieb ich meinem Sohn eine Betreuungsvollmacht, worauf er dem Oberarzt untersagte, mir diese weiterhin zu verabreichen. Endlich konnte ich wieder klar denken. Aber die Krönung des Ganzen kam noch: dieser Oberarzt rief meine beiden Kinder an, um ihnen mitzuteilen, dass ich im Sterben läge und das Wochenende nicht überleben würde. Meine Tochter ist daraufhin von Magdeburg und mein Sohn von Mühlheim a. d. Ruhr ins Saarland gefahren. Meinen Partner nötigte er, die Nacht im Krankenhaus zu verbringen. Er war fix und fertig. Als meine Tochter von mir mitbekommen hatte, dass ich schon seit 4 Tagen nicht mehr gewaschen wurde, war die Station eine Achterbahn. Um zu verhindern, dass die Ärzte mich nicht einfach sterben ließen, verlangte ich von diesen schriftlich, mich wieder zu beleben. Daraufhin wurde mir erklärt „warum sollen wir sie wiederbeleben, sie sterben ja doch“ und das im Beisein meines Kinder und meines Partners!!! Seltsamerweise ging es mir ab diesem Wochenende wieder besser und ich habe für mich eine Entscheidung getroffen: ich bin ein glücklicher Mensch! Meine Kinder und mein Partner haben mich nicht im Stich gelassen, sie waren da, als ich sie am nötigsten braucht, Herz, was willst Du mehr. Ab diesem Tag hatte ich nur noch selten Panikattacken, ich wurde wieder mobil und war nicht mehr so sehr auf die Schwestern angewiesen. Zur Ehrenrettung muss ich aber auch sagen, dass die Stationsschwester sich sehr um mich gekümmert hat, aber leider war sie halt nicht immer da.
Mein Sohn sorgte dann dafür, dass ich in eine onkologische Klinik verlegt wurde. Hier bekam ich Misteltherapie und 7 Chemos. Diese schlug sehr gut an und jetzt konnte man mich auf Tablettenchemo umstellen und ich hoffe, dass sie meinem Krebs weiterhin Einhalt gebietet. Für mich war dieses Krankenhaus ein absolut traumatisches Erlebnis, hat mich doch der dortige Oberarzt 24 Tage festgehalten, obwohl schon nach 3 Tagen meine Diagnose Krebs feststand. Nie hätte ich für möglich gehalten, dass so etwas mitten in Deutschland passieren kann und ich mich vor allem nicht wehren konnte. Ich kann gar nicht beschreiben, wie ich mich gefühlt habe, dazu fehlen mir die Worte. Für diese Ärzte hatte ich schlicht und ergreifend keinen Wert. Dafür durfte ich in der Filderklinik bei Stuttgart das Gegenteil erleben: hier gehen die Ärzte mit den Patienten sehr einfühlsam und auf Augenhöhe um. Gott-sei-Dank, es geht auch anders.
Ich wollte dies traumatische Erlebnis aufschreiben und mitteilen, hilft es mir doch, das zu bewältigen. Ich bin immer noch ein glücklicher Mensch und vor allem mache ich eines nicht: den Krebs bekämpfen. Ich lebe mit ihm, denn Druck erzeugt Gegendruck.....
Mittlerweile ist, dank der Chemo, meine Sehschärfe wieder zurückgekehrt, allerdings sehe ich alles recht grell. Die Netzhaut filtert das Licht nicht, aber ich kann wieder Gesichter erkennen, lesen und schreiben, Fernsehen und auch wieder an den PC. Das hat dann schon Einiges an Lebensqualität.
Marion
Auge um Auge - und die ganze Welt wird blind sein.
-Mahatma Gandhi-