Bei der antipathischen (palliativen) Verfahrungsart aber geschieht gerade das Widerspiel. Das, dem Krankheitssymptome vom Arzte entgegengesetzte Arzneisymptom (z.B. die gegen den empfindlichen Schmerz, durch Mohnsaft in der Erstwirkung erzeugte Unempfindlichkeit und Betäubung) ist zwar dem erstern nicht fremdartig, nicht völlig allöopathisch, es ist offenbare Beziehung des Arzneisymptoms auf das Krankheitssymptom sichtbar, aber die umgekehrte; die Vernichtung des Krankheitssymptoms soll hier durch ein opponirtes Arzneisymptom geschehen, was jedoch unmöglich ist. Zwar berührt die antipathisch gewählte Arznei auch denselben krankhaften Punkt im Organism, so gewiß als die ähnlich krankmachende, homöopathisch gewählte Arznei; erstere verdeckt aber als ein Entgegengesetztes, das entgegengesetzte Krankheitssymptom nur leicht und macht es nur auf kurze Zeit unserm Lebensprincip unmerklich, so daß im ersten Momente der Einwirkung des opponirten Palliativs die Lebenskraft von beiden nichts Unangenehmes fühlt, (weder von dem Krankheits- noch vom entgegengesetzten Arzneisymptome), da beide einander gegenseitig im Gefühle des Lebensprincips aufgehoben, und gleichsam dynamisch neutralisirt zu haben scheinen (z.B. die Betäubungskraft des Mohnsaftes, den Schmerz). Die Lebenskraft fühlt sich in den ersten Minuten wie gesund und empfindet weder Mohnsaft-Betäubung, noch Krankheitsschmerz. Aber da das opponirte Arzneisymptom nicht (wie beim homöopathischen Verfahren) die Stelle der vorhandenen Krankheitsverstimmung im Organism (im Gefühle des Lebensprincips) als eine ähnliche, stärkere (künstliche) Krankheit einnehmen, also das Lebensprincip nicht, wie eine homöopathische Arznei, mit einer sehr ähnlichen Kunst-Krankheit afficiren und so an die Stelle der bisherigen natürlichen Krankheits-Verstimmung treten kann, so muß die palliative Arznei, als ein von der Krankheits-Verstimmung durch Gegensatz gänzlich Abweichendes, dieselbe unvertilgt lassen; sie macht sie zwar, wie gesagt, der Lebenskraft durch einen Schein von dynamischer Neutralisation 1)
1) Im lebenden Menschen findet keine bleibende Neutralisation streitiger oder entgegengesetzter Empfindungen statt, wie etwa bei Substanzen von entgegengesetzter Eigenschaft in der chemischen Werkstatt, wo z. B. Schwefelsäure und Potasch-Kali, sich zu einem ganz andern Wesen, zu einem Neutralsalze vereinigen, was nun weder Säure, noch Laugensalz mehr ist und sich selbst im Feuer nicht wieder zersetzt. Solche Zusammenschmelzungen und innige Vereinigungen zu etwas bleibend Neutralem und Gleichgültigem, finden, wie gesagt, bei dynamischen Eindrücken entgegengesetzter Natur in unsern Empfindungs-Werkzeugen nie statt. Nur ein Schein von Neutralisation und gegenseitiger Aufhebung ereignet sich anfänglich in diesem Falle, aber die opponirten Gefühle heben einander nicht dauernd auf. Dem Traurigen werden durch ein lustiges Schauspiel nur auf kurze Zeit die Thränen getrocknet; er vergißt aber die Possen bald und seine Thränen fließen dann nur um desto reichlicher.
anfänglich unfühlbar, verlöscht aber bald, wie jede Arzneikrankheit von selbst, und läßt nicht nur die Krankheit, wie sie vorher war, zurück, sondern nöthigt auch, (da sie, wie alle Palliative, in großer Gabe gegeben werden mußte, um die Schein-Beschwichtigung zu erreichen), die Lebenskraft einen opponirten Zustand (§. 63 - 65.) auf diese palliative Arznei hervorzubringen, das Gegentheil der Arzneiwirkung, also das Aehnliche von der vorhandnen ungetilgten, natürlichen Krankheitsverstimmung, die durch diesen von der Lebenskraft hervorgebrachten Zusatz (Gegenwirkung auf das Palliativ) nothwendig verstärkt und vergrößert wird (2).
2) So deutlich dieses ist, so hat man es dennoch mißverstanden und gegen diesen Satz eingewendet, „daß das Palliativ in seiner Nachwirkung, welche dann das Aehnliche der vorhandenen Krankheit sei, wohl eben so gut heilen müsse, als eine homöopathische Arznei durch ihre Erstwirkung thue." Man bedachte aber nicht, daß die Nachwirkung nie ein Erzeugniß der Arznei, sondern stets der gegenwirkenden Lebenskraft des Organisms, also diese, von der Lebenskraft durch Anwendung eines Palliativs herrührende Nachwirkung ein dem Krankheits-Symptome ähnlicher Zustand sei, den eben das Palliativ ungetilgt ließ, und den die Gegenwirkung der Lebenskraft auf das Palliativ folglich noch verstärkt.
Das Krankheitssymptom (dieser einzelne Theil der Krankheit) wird also schlimmer nach verflossener Wirkungsdauer des Palliativs; um so schlimmer, je größer die Gabe desselben gewesen war. Je größer also, (um bei demselben Beispiele zu bleiben) die zur Verdeckung des Schmerzes gereichte Gabe Mohnsaft gewesen war, um desto mehr vergrößert sich der Schmerz in seiner ursprünglichen Heftigkeit, sobald der Mohnsaft ausgewirkt hat 3).
3) Wie wenn in einem dunkeln Kerker, wo der Gefangene nur nach und nach mit Mühe die nahen Gegenstände erkennen konnte, jähling angezündeter Weingeist dem Elenden auf einmal alles um ihn her tröstlich erhellet, bei Verlöschung desselben aber, je stärker die nun erloschene Flamme gewesen war, ihn nun eine nur desto schwärzere Nacht umgiebt und ihn alles umher weit unsichtbarer macht als vorher.
OK, wir haben das Krankheitssymptom, einen Schmerz. Und wir haben ein entgegengesetzes Arzneisymptom, z.B. vom antipathischen Arzneimittel Mohnsaft. Beide sind sich nicht völlig fremd, berühren also den gleichen Punkt im Körper. Der Mohnsaft betäubt den Schmerz. Die Vernichtung des Krankheitssymptoms soll durch ein entgegengesetzes Mittel erfolgen. (Anderes Beispiel: Ein Durchfallerkrankter bekommt ein Mittel, das bei einem Gesunden Verstopfung auslösen würde.) Das entgegengesetze Mittel heilt aber nicht, sondern verdeckt das Krankheitssymptom nur kurzfristig. Nur für kurze Zeit wurden beide Gefühle des Lebensprinzips (Krankheitssymptom und Arzneisymptom) dynamisch neutralisiert. Das opponierte Arzneisymptom kann aber nicht an die Stelle der vorhandenen Krankheitsverstimmung treten als gleiche, stärkere Affektion im Organismus wie ein homöopathisches Mittel. Die Arzneikrankheit verschwindet schließlich wieder und die Lebenskraft wird zu einer Gegenreaktion angeregt, da das Mittel in großer Gabe verabreicht wurde. Diese Gegenreaktion ist dann ein noch stärkeres Krankheitssymptom wie zuvor. Je größer also die Gabe Mohnsaft war, desto größer der Schmerz, sobald der Mohnsaft ausgewirkt hat!
Ein Unheil an, das seine Herkunft schändet.
William Shakespeare
Patenkind von Andrea Rapp
Patin von Manuela und Tilly