Vielleicht sollten wir uns zuerst die berechtigte Frage stellen: Gibt es überhaupt die eine große Liebe im Leben?
In Hollywood-Filmen wird dieser tief in uns liegende Traum immer sehr schön ausgemalt: Mann und Frau, beide spüren, daß der Partner der einzig Richtige ist und nun zeigen sich alle möglichen Schwierigkeiten. Am Ende überwinden sie alle Hindernisse und nun steht der großen Liebe nichts mehr im Weg. Doch über die Probleme, die sich oft erst danach zeigen, erzählen die wenigsten Filme.
Schon Platon erzählte, daß die Menschen ursprünglich vier Arme, vier Beine und zwei Gesichter gehabt und sie Zeus in zwei Hälften gespalten habe. Seither seien die Menschen dazu verdammt, ewig ihre fehlende Hälfte hier im irdischen Leben zu suchen.
Wenn wir in uns hineinblicken, werden die meisten von uns diese Idee in den Tiefen ihrer Seele finden. Viele von uns hoffen auf die große Begegnung mit jemandem, der uns auf magische Weise in allem ergänzt. Wir mögen uns diese Idee ausgeredet haben oder sie relativiert haben, aber tief in uns drinnen lebt und wirkt sie oft weiter. Nicht selten fragen mich im Beratungsgespräch Menschen noch im hohen Alter, wann sie endlich die Liebe ihres Lebens treffen. Und man kann sich den Gedanken fast nicht verkneifen: Hört man denn nie auf zu hoffen? Doch das hätten wir vor zwanzig Jahren genauso über uns selbst gedacht.
Warum ist diese Idee so hartnäckig und warum taucht sie auch dann manchmal auf, wenn wir in fester Hand sind, vielleicht schon Kinder mit unserem Partner haben und in unserer Beziehung zur Ruhe finden sollten? Warum werden Partner plötzlich verrückt, gehen fremd oder beenden eine Beziehung gerade dann, wenn alles perfekt ist? Warum denkt man manchmal, daß jede noch so große Liebe auf Schiffbruch ausgerichtet ist? Und gibt es sie wirklich - Diese seltenen Fälle, wenn zwei Menschen sich in jungen Jahren kennenlernen und dann glücklich bis zum Tode zusammenbleiben?
Ja, die gibt es. Aber kein Leben ist nur Friede, Freude, Eierkuchen. Und schon die Griechen unterschieden zwischen Eros, der leidenschaftlichen Liebe und Pragma, der Liebe in einer Beziehung. Übrigens darf man hier bemerken, daß die leiden-schaftliche Liebe das "Leiden" schon mit inbegriffen hat, daß das "Leiden" sozusagen schon vorprogrammiert ist. Vom "Leid" können wir dann anschließend alle ein "Lied" singen.
Ich lebe als scheinbar isolierte Person in einer mir scheinbar fremden Welt und plötzlich kommt eine Person, die mich alles vergessen läßt. Die Welt ist mir nicht mehr fremd, alles wirkt beseelt, Schmetterlinge flattern in meinem Bauch und mein ganzen Leben wird frei von Problemen - zumindest für eine gewisse Zeit.
Die Wahrheit ist: ich bin weder isoliert, noch lebe ich in einer mir fremden Welt. Die Welt und ich sind eins, doch vermag ich das nicht in jedem Augenblick meines Lebens klar zu sehen. Die andere Person ist mein "Kanal" zu einer wahrhafteren Wahrnehmung der Welt. Einer Welt, die doch immer schon von Liebe erfüllt ist. Wenn wir vom perfekten Partner träumen, träumen wir von dieser wahrhaften Verbindung zwischen uns und der Welt. Und diese Verbindung ist die einzig wahre unseres Lebens. Die andere Person verkörpert nun diese Verbindung. Diese Verbindung ist einzigartig, sie gibt es kein zweites Mal: ich und die Welt. Und solange ich für diese Verbindung einen Vermittler suche, werde ich über die eine große Liebe träumen, denn die Welt gibt es nur einmal. Deshalb sind wir versucht zu denken, daß es nur eine Person sein kann, die diese Verbindung herzustellen vermag.
Weil wir dieser Vorstellung Glauben schenken, sind wir nicht unbedingt naiv. Diese Vorstellung ist natürlich. Wenn man aber beginnt zu verstehen, daß wir uns gar nicht nach einer Person, sondern einer Verbindung sehnen, dann verlagert sich unsere Sehnsucht langsam in einen Bereich, der nicht mehr außerhalb unserer Macht liegt. Wir verstehen, daß wir für diese intimste aller Beziehungen - ich und die Welt - auch selbst etwas ohne äußere Hilfe tun können. Und so hören wir allmählich auf, alles mögliche in andere Personen hineinzuprojizieren und arbeiten stattdessen an der Beziehung zwischen uns und der Welt.
Spirituelle Reife heißt auch, seine individuelle Sicht auf die Mitmenschen und de Welt zu entdecken und aufzulösen. Je weniger ich meine Ideen und Überzeugungen in die Welt hineininterpretiere, umso mehr vermag ich die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist, umso mehr vermag ich meine Mitmenschen so zu sehen, wie sie wirklich sind. So können auch jene Menschen zu mir finden, die sich in meiner Wärme wohlfühlen und in deren Wärme ich mich selbst wohl fühle. So kann uns letztlich eben auch ein Partner finden, der diese Wärme ausstrahlt. Und dieser Partner muß dann auch nicht irgendwelchen Idealen und Projektionen entsprechen. Er darf so sein, wie er ist.
Die Arbeit an unserem Karma fördert unsere tief liegenden Projektionen und Überzeugungen zu Tage. Hier können sie aufgelöst werden und wir gelangen zu einem klarerem Verständnis über uns selbst und unserem Weg in der Welt.
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