Ilka Bessin: "Abgeschminkt. Das Leben ist schön, von einfach war nie die Rede". Erschienen bei Audio-to-go, gelesen von der Autorin, ungekürzte Lesung auf zwei mp3-CDs, 400 Minuten, 186 Tracks
Meine Rezension:
Mutmach-Bücher sind schwer angesagt. Hier kommt ein Mutmach-Hörbuch - nicht unbedingt als solches gedacht, funktioniert aber trotzdem. "Abgeschminkt" ist der Titel. Der Untertitel: "Das Leben ist schön - von einfach war nie die Rede". Autorin; Ilka Bessin. Kennen Sie nicht? Na, das ist die Frau, die Cindy aus Marzahn war. Ihre Markenzeichen als Cindy: pinkfarbener Jogginganzug, blonde Perücke, fett geschminkt - aber all das hat sie hinter sich gelassen. "Abgeschminkt" ist Bessins Erzählung von ihrem Werdegang. Von der Kindheit in der DDR: Marzahn ist nicht. Geburtsort ist Luckenwalde im Brandenburgischen, dessen berühmteste Söhne Rudi Dutschke und der Erfinder des Papptellers sind. Und eben Bessin, die sagt: "Und in der Mitte ich, zwischen Widerstand und Pragmatismus." Und, O-Ton: "gewissermaßen ab Werk mit Mängeln ausgestattet". Sie sei eine "kleine, dicke Nervensäge" gewesen, "nicht mit Schönheit gesegnet". Die anderen Kinder hätten sie dick und doof gefunden, und so sei sie eben laut und frech geworden. Bessins Geschichte zeigt, wie es gehen kann: Vom Start ab Werk mit Mängeln hin zum Kassenschlager. Hörenswert!
Und wir können lernen, wenn wir nur aufmerksam hinhören (und nicht nur schmunzeln oder lachen). Denn, so Bessin, auch ihre Eltern seien ab Werk mit Mängeln ausgestattet gewesen. Emotionen, auf ein aufgeschürftes Knie pusten, ein "ich hab Dich lieb": Fehlanzeige. Nur keine Rührseligkeiten, so war es im Elternhaus.
Schon das Laufenlernen war so eine Sache. "Ich lernte es wie alle Kleinkinder, aber ich mochte es nicht besonders. Daran hat sich bis heute nichts geändert." Zu ihrer Grundausstattung habe aber auch ein Dickkopf gehört. Beim Einkaufen im Konsum habe ihre Mutter immer mit einem Wut- und Brüllanfall rechnen müssen. Sie habe dann immer die Hand der kleinen Ilka gehalten und gequetscht. Warnung: Wage es ja nicht, hier herumzuschreien!
Von den anderen Kindern bekam sie eingeschenkt. Raus auf die Straße, "darf ich mitspielen?" - und schon hagelte es Beleidigungen oder abfuhren. "Ich hatte nur zwei Möglichkeiten", sagt sie, "abzischen oder aushalten." Meistens hat sie ausgehalten, manchmal aber hat sie sich auch in ihr Zimmer geflüchtet und geweint. Trost, weil die anderen Kinder so fies waren, gab es Zuhause nicht.
"Wenn man so aussieht, wie ich, kann man nur Komiker werden." Dieses Fazit von Ilka Bessin zeigt: Humor ist eine grandiose Ressource, ebenso wie die Fähigkeit zur Introspektion, zur kritischen Selbstsicht, aber auch zur Distanz. Sehen, was im Grund das Problem der anderen ist - und es bei denen belassen.
So gesehen ist das Hörbuch nicht nur mega unterhaltsam, sondern auch ein Lehrstück in Sachen Ressourcen, Resilienz, frühkindliches und ein bisschen auch transgenerationales Trauma.
*Denn schlimmer als zu sterben ist es, nicht zu wissen, wofür man lebt.* (Gioconda Belli)