Dann werde ich auf jeden Fall weiterhin "richtige" Fachbücher lesen. Weil: Man lernt ja nie aus. Was mir jetzt schon klar ist: Diffenrentialdiagnose ist wichtig und oft echt tricky. Und was tun, wenn Krankheitsbilder und Symptome sehr-sehr-sehr eng miteinander verwoben sind? Zu dem Thema habe ich bei Hogrefe zwei Bände entdeckt, gerade erst erschienen und, wie mir scheint, mega spannend.
Transdiagnostische Behandlung emotionaler Störungen
und zwar einmal das Therapeutenmanual und dazu das Arbeitsbuch (Hogrefe).
Zum Manual schreibt der Verlag, das Fachbuch biete die "bahnbrechende, radikale Abkehr von der krankheitsspezifischen Behandlung emotionaler Störungen". Seit mehr als 40 Jahren hat sich "ein großer Teil der Psychotherapieforschung auf die Entwicklung spezifischer Ansätze für bestimmte Störungen konzentriert. Mit dem Erfolg des störungsspezifischen Ansatzes wurden aber auch seine Grenzen deutlich."
Soweit bin ich beim Durchdenken von Praxisfällen auch schon gekommen. Oft sind Schubladen einfach zu eng, und dann quetschen wir unseren Patienten womöglich ein (um im Bild zu bleiben), mindestens aber wird er geknittert und bleibt es, bis wir mühsam irgendwann alles hoffentlich geglättet haben. Depressionen, Angst, Demenz: Irgendwie ist das alles miteinander verpuzzelt. Weswegen ich so begeistert war, als ich diese beiden Titel bei Hogrefe entdeckt haben, versprechen sie doch ein Weiterdenken und vielleicht Auflösen in dieser Richtung.
Tatsächlich gibt es wissenschaftliche Arbeiten und Untersuchungen, die belegen, dass sich störungsübergreifende Prinzipien und störungsspezifisches Wissen und Interventionen sich weder gegenseitig ausschließen und behindern, sondern, ganz im Gegenteil, in gegenseitiger guter Ergänzung genutzt werden können. Die Bücher sollen in der Praxis beide benutzt werde, wobei das Arbeitsbuch sowohl für den Patienten allein als auch für die gemeinsame Arbeit von Patient und Therapeut geeignet ist.
Spannend ist für mich, wie der Behandlungsablauf erklärt ist. "Die Hauptannahme der Behandlung besteht darin, dass Personen mit emotionalen Störungen maladaptive Strategien der Emotionsregulation benutzen, genauer: Versuche zur Vermeidung oder Intensitätsverminderung unkomfortabler Emotionen, was sich letztlich gegenteilig auswirkt und zur Aufrechterhaltung der Symptome beiträgt."
Da Komorbiditäten eher die Regel, als die Ausnahme sind, ist es also sinnvoll, sich nicht auf eine oder zwei Störungen zu spezialisieren, sondern "sich auf das Gemeinsame in der Behandlung einer größeren Gruppe von Störungen zu besinnen". Die Behandlung umfasst 8 Module:
- Ziele setzen und Motivation aufrecht erhalten
- Emotionen verstehen
- Achtsame Bewusstheit für Emotionen
- Kognitive Flexibilität
- Emotionsbezogenem Verhalten entgegenhalten
- Körperliche Empfindungen verstehen und angehen
- Emotions-Expositionen
- Das Erreichte anerkennen und in die Zukunft schauen.
Die zentralen Strategien dabei sind:
- sich der emotionalen Erfahrung achtsam bewusst werden
- starre, emotional aufgeladene Zuschreibungen neu bewerten
- verhaltensbezogene und emotionale Vermeidung erkennen und umgehen
- die Exposition gegenüber interozeptiven sowie situationsbezogenen Signalen unterstützen
Laut Klappentext ist das Manual auf alle Angststörungen und unipolaren affektiven Störungen sowie andere Störungen mit starker emotionaler Beteiligung (wie etwa viele somatoforme und dissoziative Störungen) anwendbar.
Das zugehörige Arbeitsbuch ist für Menschen gedacht, die an einer emotionalen Störung leiden (Angststörung, PTBS, Zwangsstörung, Depression oä). Die Strategien und Techniken sollen helfen, Emotionen besser zu verstehen und mit den Erfahrungen und Symptomen der Störung besser umzugehen. Es gibt Übungen in Form von Formularen und Selbstbeurteilungen, mit denen die Betroffenen lernen
- sich ihrer Gefühle, Gedanken und ihres Verhaltens achtsam bewusst zu werden,
- sich unangenehmen Emotionen zu stellen und sie zu bewältigen,
- ihre körperlichen Empfindungen zu verstehen.
Wie spannend! Mal schauen, ob ich jemanden finde, mit dem ich das Arbeitsbuch nutzen und durcharbeiten kann.
*Denn schlimmer als zu sterben ist es, nicht zu wissen, wofür man lebt.* (Gioconda Belli)