Lieber Attila
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Zur Hausaufgabe "Schweigen"
Es war kein ganzer Tag schweigen, sondern in zwei herausfordernden Situationen beim unterrichten.
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Handarbeiten in der 8. Klasse (13-/14-jährige Schüler)
1. Situation:
Eine Schülerin, die mir gegenüber sehr distanziert verhielt, hat sich das Projekt "gehäkelter Tintenfisch" ausgesucht. Sie hat eine Anleitung für ihre Arbeit aus einem Buch. Sie hat keine Ahnung, was die Abkürzungen in der Anleitung bedeuten. Sie ist sich auch unsicher, wie sie mit der Arbeit beginnen muss. Anstatt mich zu fragen, fragt sie ihre Klassenkameraden. Diese können ihr nur zum Teil Auskunft geben.
Bisher habe ich mich in solchen Situationen immer "eingemischt" und den Schülern damit meine Hilfe sozusagen aufgedrängt. Dieses Mal habe ich nur beobachtet und abgewartet, was geschieht. Es fiel mir ziemlich schwer, da ich ja eigentlich dafür bezahlt werde, die Schüler zu unterrichten, sie bei ihren Projekten zu unterstützen.
Die Schülerin hat 3 Wochen an diesem Tintenfisch herumgewurstelt. Ich habe mich nach wie vor rausgehalten und sie machen lassen. In der 4. Woche kam sie zu mir und sagte: "Ich habe es mit diesem Tintenfisch versucht, aber ich schaffe es nicht". Ich schätze, es hat sie sehr viel Überwindung gekostet, mir das zu sagen.
Anstatt ihr Vorwürfe zu machen, dass sie ihre Klassenkameradinnen anstelle von mir gefragt hat und darauf zu bestehen, dass sie die Arbeit beendet, habe ich sie gefragt, ob sie lieber ein anderes Projekt machen würde. Sie strahlte übers ganze Gesicht und bejahte meine Frage. Sie hat sich ein Nähprojekt ausgesucht - und sie hat mich um Hilfe gebeten. Man könnte sagen, das Eis war gebrochen.
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2. Situation
Ein Schüler derselben Klasse war die letzte Woche und diese Woche die ganze Doppellektion am Handy und hat vermutlich entweder gespielt oder sich einen Film angeschaut. Die anderen Schüler haben gearbeitet. Wenn ich vorne am Pult sass oder an ihm vorbei ging, um einem Schüler zu helfen, hat er mich immer wieder angeschaut, ob ich vielleicht doch noch etwas sagen würde. Ich schwieg jedoch eisern.
Am Ende des Unterrichts sagte dieser Schüler zu mir, er werde sich bis nächste Woche ein Projekt überlegen. Ich bin gespannt.
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Ich habe aus diesen beiden Situationen auch etwas über mich selbst gelernt.
Zur 1. Situation
Früher habe ich immer darauf bestanden, dass die Schüler angefangene Arbeiten beenden.
Ich habe mich gefragt: Müssen Schüler angefangene Arbeiten wirklich um jeden Preis beenden?
Meine Antwort: Nein! Es geht um den Prozess, um die Erfahrung! Ich wurde als Kind immer gezwungen, alles, was ich angefangen habe zuerst zu beenden, bevor ich etwas neues Beginnen durfte. Im Moment habe ich sehr viele angefangene Projekte. Wenn der Impuls kommt beende ich sie. Einige werde ich vielleicht nie beenden. Andere machen für mich überhaupt keinen Sinn mehr. Warum sollte ich sie also beenden?
Fazit: Ich muss mir in der Schule diese Freiheit nehmen, den Schülern freizustellen, ob sie eine Arbeit beenden wollen, oder ob es ihnen nur um den Prozess geht. Ich habe festgestellt, dass ich noch sehr Ergebnisorientiert bin. Im Handarbeiten strebe ich immer ein Endprodukt an. Manchmal dauert es eine Weile, bis dieses Endprodukt vorliegt. Für mich ist ein Endprodukt wichtig. Für einige Schüler trifft dies auch zu, für andere ist es bedeutungslos, unwichtig.
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zur 2. Situation
Ich habe festgestellt, dass es mich gewaltig stört, wenn Schüler in meinem Unterricht nur dasitzen, anstatt zu arbeiten. Es stört mich auch, wenn ich selber nur dasitze, anstatt zu arbeiten. Meine Hände müssen ständig etwas zu tun haben. Wenn die Schüler einen Moment selbständig arbeiten können, setzte ich mich ans Lehrerpult und sehe entweder Schülerarbeiten durch oder arbeite an meinen eigenen Projekten. Im Zug bin ich auch immer am Häkeln oder am Stricken. Es ist wie ein Zwang, könnte man sagen.
Fazit: Ich nehme mir auch hier die Freiheit, die Schüler entscheiden zu lassen, ob und wie viel sie arbeiten wollen, solange sie sich benehmen und die anderen Schüler in Ruhe lassen.
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Frage:
- Woher kommt dieser Zwang, dass meine Hände ständig beschäftigt sein sollen/wollen?
Vielleicht hat das I-Ging eine Antwort auf diese Frage.
Vielleicht hat eine Rückführung eine Antwort auf diese Frage.
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Liebe Grüsse
Pia