Meine erste Reanimation aus meiner Sicht geschrieben
Donnerstag Morgen 5:34
Plötzlich durchdringt eine quäkende Stimme mit sensiblem Rauschen untermahlt, mein Unterbewusstsein.
„einmal Körperverletzuuuuung“
Klingt so ähnlich wie: einmal Pommes mit Mayo biddääää.
Benommen Schiesse ich hoch und werde auch gleich unsanft in meiner Euphorie ausgebremst. Seitdem hab ich vom oberen Etagenbett ein Wabenmuster auf meiner Kopfhaut.
Leicht taumelnd versuche ich meine Beine in je ein Hosenbein zu koordinieren, wusel die Riemen vom Klettverschluss meiner Stiefel durch die Schlaufen, taumle raus in den Flur, greife meine Jacke und hechte in die Halle, wo auch schon meine Kollegen im Auto sitzen und darauf warten, dass das Rolltor ganz nach oben gefahren ist.
Es schneit, ich drücke auf den Hallenrolltornachuntenknopf und springe ins Auto. mein Kollege fährt etwas zügiger an und ich finde mich mit dem Hintern auf dem EKG wieder. Mist, ich wusste ich hab was vergessen. Wo vorhin, dass heisst so ca. 7 Stunden vorher, noch ein Sitz war, hängt jetzt der Defi an der Wand. Autotausch wegen Reifenplatzer und das mit Patient.
Auf der elendig langen Fahrt von ganzen 4 Minuten bis zum Einsatzort fällt mir erschreckend auf, dass ich meinen Kreislauf im Bett hab liegen lassen und ich überlege mir, ob ich mir nicht noch ne Nierenschale aus dem Schrank hole. dafür ist es wohl doch schon zu spät. denn Kollege ruft auch schon nach hinten, ich soll das EKG mitnehmen.
Schwer bepackt schleppen wir unseren Koffer und das EKG zur Haustür und ich erfahre den Namen des Patienten und dass es ein Krampfanfall sein soll.
Moment mal. Krampfanfall? keine Pommes mit Mayo?
Naja egal. Murphy ist ja an meiner Seite. dann kann nichts mehr schief gehen.
Tut’s auch nicht. Wir haben immerhin auf den ersten Blick die richtige Klingel gefunden. Von ca. 38 Parteien, 6. Etage … laut Klingel
Das Senorita Ärztin, ihr Kutscher, Klaus und ich passen so gerade eben noch in den Fahrstuhl. Philip muss laufen.
„Ach du grosse Scheisse“ ruft der Kutscher. „Wer hat denn einen Schlüssel für die Zwischentür?“ Stillschweigen im Walde. Ähm im Aufzug.
„Ach du grosse Scheisse“ kontere ich als ich festgestellt habe, dass der Aufzug nur bis Etage 3 geht. Na das kann ja noch heiter werden.
Oben angekommen, schnauft uns Philip wie eine alte Dampflok entgegen und ringt sich ein erschöpftes Lächeln ab. Der „Mann-von-Welt“ darf keine Schwäche zeigen. Am anderen Ende des Ganges fuchtelt eine ältere Lady rum. Hm, hatte die einen Hubschrauber bestellt, oder meint sie uns?
Aufgeregt und hektisch erzählt sie uns, dass ihr Mann vorhin aufgestanden ist, ist dann zusammen gebrochen und hat am ganzen Körper gezittert. Fragt sich jetzt nur, wer mehr zittert, die Frau oder der Mann?
Das Ärztin, der Kutscher und ich gehen voran in die Wohnung und überlegen, wer nun als erstes durch die Tür gehen soll. Elegant mache ich einen Ausfallschritt und lasse die Ärztin an die Front. Sicher ist sicher.
Da liegt er nun. der Ehemann und spricht mit uns kein Wort. Elegant auf dem Fussboden neben dem Bett. Kopf in Richtung Fussende, das linke Bein auf dem Nachtschrank, das rechte auf dem Kopfkissen im Bett. Toll. Schocklage bei Bewusstlosigkeit. Der Mann hat offenbar in erste Hilfe nicht aufgepasst.
Mir fällt bei dem Blick auf dem Brustkorb auf, dass dieser sich nicht bewegt. ‚Oh, der atmet ja garnicht mehr’. Ddenke ich so bei mir.
Das Frau Doctor sagt einen Moment später: „Oh, der atmet ja garnicht mehr“. Wie Scharfsinnig.
Sie beugt sich runter und schüttelt ihn an der Schulter. „Herr… hallooooooooo…“ Oh, sie hat einen Erste Hilfe Kurs besucht. Die Ansprache war laut, klar, deutlich und ohne sabbern, nuscheln und spucken.
Der NEF-Fahrer meldet sich zu Wort. Ach ja, der ist ja auch noch da. Den habe ich glatt ganz vergessen. Er schlägt vor, den Menschen da unten doch mal ins Bett zu legen, damit wir besser arbeiten können. Gesagt getan. Drei Frau, vier Ecken und der Mann liegt im Bett. Das nennt man mal vernünftige Arbeitshöhe. Die Ärztin setzt sich, nachdem sie ihm einen rosa Zugang in den Arm gepuzzelt hat, im Schneidersitz an seinem Kopf und beschliesst, ihm mal mit dem Beutel ein bisschen beim atmen zu helfen. Das tut er nämlich noch immer nicht selbst. Aber wie war das noch mal mit Sauerstoff? Das soll ja ne ganz tolle Sache sein, stellt sie fest und fragt, ob wir welchen haben.
„Jo, unten im Auto“ sage ich und nun kommt wieder der NEF-Fahrer zum Einsatz. Toll so ein Mensch an seiner Seite. Sollte mir überlegen, ob ich mir Zuhause nicht auch so jemanden anschaffe.
Nach einer kurzen Einweisung für die Ärztin wie man nun den O2-Schlauch an den Beutel befestigt, boxt der NEF-Fahrer mir mit dem Ellenbogen in die Seite. „Ey, willste nicht mal anfangen zu drücken?“
‚Aua, Mensch Alter, das tut weh’ aber der Senorita reicht noch die lustigen Kurven auf dem EKG und will ihm lieber noch einen Schluck Supra und was zum entspannen gönnen. Puh, noch mal Glück gehabt.
Meinereiner, das Mädchen für alles, drückt dem Menschen auf dem Bett die Drogen rein und reicht kurz vorher noch dem NEF-Fahrer die Nadel. „Achtung, heiss und fettig“ Und alles schaut mich an. Oh, war das jetzt falsch?
„Du? drück mal“ kommt es seitwärts von meiner Vorgesetzten. ‚Ach du Scheisse. Kann ich mir das noch mal so zwei Minuten überlegen? Ich würde doch lieber rausgehen und die Frau trösten.’ Denke ich mir so. Kriege ein wenig kalte Füsse, suche aber brav meinen Druckpunkt auf, Arme durchgedrückt, Schultern über den Brustkorb, 5-7 cm tief und einen Rhythmus von 100 BPM.
Und zur anderen Seite beantragt sie noch eine weitere Droge, die sie aber nicht bekommt. Ätsch man, so was haben wir nicht auf dem Koffer. Unser Leiter sagt, so was brauchen wir nicht.
Also schicken wir ein weiteres mal unseren Leibeigenen die drei Etagen nach unten um die Bestellung zu besorgen.
Unterdessen beatmet sie den Mann fröhlich weiter und ein geheimer Wettbewerb hat zwischen uns begonnen. Wer ist schneller? Sie mit dem beatmen oder ich mit dem drücken? Ich 100, sie 100. Ich 120, sie folgt unauffällig. Ich 150, sie 152. Ich 158 und sie hält schritt. „Gnucks“ Huch? Was war das? Ich schau auf mein Handgelenk. „Gnucks“. Da schon wieder. Moment, was sage ich immer meinen Teilnehmern? Ist der Widerstand gebrochen, lässt es sich leichter arbeiten. Oh! Jetzt weiss ich. Das waren die Rippen.
‚1,2,3,4,5, boioioioioioioing, boioioioioioioing , boioioioioioioing , boioioioioioioing ……’ – „27,28, boioioioioioioing, 29,30“ gut das die Matratze nicht noch weicher ist.
Ich hör auf zu drücken und die Ärztin auf zu beatmen. Ähm, Moment mal. Wieso hört sie auf zu beatmen, wenn ich aufhöre zu drücken?
Ahhhhh, ja schon klar. Theorie und Praxis. ich versteh. Gerissen, das Weibchen… ;-) Wenn ich also will, dass der Mensch da im Bett Luft bekommt, muss ich weiter drücken. wenn ich ihn ärgern will, dann hör ich einfach auf. Naja, die Atmung wird sowieso überbewertet.
Unser Laufbursche kommt zurück und wagt es unsere Frau Doctore zu ärgern. Man, der hat Nerven. Ätsch man, die haben das Zeugs auch nicht dabei.
Aber unsere Akademikerin scheint noch ein Ass im Ärmel zu haben und läuft selbst. Kommt kurz danach wieder mit einem Gesicht, als ob der Patient sie angepinkelt hat. war wohl nichts mit dem Ass im Ärmel.
„27,28,29,… boioioioioioioing …. „ Ach wat. Was soll’s, wer zählt denn schon Heute noch? Ich gewöhne es mir ab und beschliesse meine Jacke nun doch auszuziehen. Langsam wird’s warm bei gefühlten 32 Grad im Schlafzimmer, einem dicken Poloshirt, ein gefüttertes Sweatshirt und eine Einsatzjacke mit Innenfutter.
„Macht doch mal die Tür zu“ Kommt’s von der Ärztin und noch bevor wir unserem Sklaven die Tür vor die Nase zuschmeissen können, fragt er noch, ob er den Transport schon mal fertig machen soll.
„Ne du, lass mal, das brauchen wir wohl nicht mehr“.
Die Kollegen auf der anderen Seite der Macht haben auch schon den Schnorchel fertig gemacht und sie bastelt ihn erfolgreich in den hals des Mannes. Nur beim rausziehen des Führungsstabes gibt es leichte Komplikationen. Irgendwie hängt plötzlich der Schnorchel dran.
„So eine verdammte Scheisse. Wer hat denn nur diesen Mist erfunden?! So kann ich nicht arbeiten!“ Und mit diesen Worten rupft sie den Stab aus dem Schnorchel und pfeffert ihn knapp an meiner Nase vorbei quer übers Bett, guckt in den Rachen und schwupp ist er wieder drin.
Zu dumm, dass noch der Nupsi drauf steckt. Philip und ich hechten gemeinsam auf den Stab und kollidieren fast mit den Köpfen so zusammen, dass es mich beinahe der Länge nach auf den Mann nieder gestreckt hätte.
Noch ein Schluck von dem süssen Gift und die gelehrte Dame neben mir ist wieder glücklich. Der Patient auch. Denn der kriegt ganz plötzlich riesengrosse Augen und winkelt beim drücken „boioioioioioioing, boioioioioioioing, boioioioioioioing“ beide Arme an.
OHHHHH ES LEEEBT…. Oder auch nicht. Nach einer Minute fallen sie seitlich wieder weg.
Woraufhin unser Kofferträger und externe Wirbelsäule ein weiteres Mal nach unten geschickt wird um die Trage jetzt doch nach oben zu bringen.
Er scheint ein ganz kluges Köpfchen zu sein, jedenfalls hat er die Zwischentür im Aufzug geöffnet bekommen und wir brauchen den Mann nicht hochkant in denselbigen zu stellen.
Im Auto schnell noch die Klappen an der Decke geöffnet, O2-Schlauch angestöpselt und das Nudelwasser aufgehängt.
„Ich geb Gas, ich will Spass“ meine ich aus dem Tempo und den Tröten rauszuhören, als Philip mit gefühlten 180 Stundenkilometern durch die Stadt zur nächsten Klinik heizt. Klaus ist ein Schatz. Der hat für den Mann immer ein Schlückchen fertig, während ich mit einer Arschbacke verzweifelt versuche, den Sitz von unserem Stuhl im Auto festzuhalten, da dieser mir immer wieder in die Kniekehlen fällt. Mit dem Kopf in die Klappen geklemmt, finde auch ich einen einigermassen sicheren Stand und kann weiter auf dem Menschen rumdrücken. Dieses mal ohne zählen. Und das ‚boioioioioioioing’ bleibt auch aus.
Im klinikinternen Aufzug bekommen wir alle eine weitere Fortbildung in der Handhabe der Trage, bei der wir feststellen, dass diese sich im etwas runtergelassenen Zustand nicht mehr fahren lässt. Also gibt’s einen Stellungswechsel, da Philip grösser ist als ich und wir die Trage wieder aufbocken können. Eins, Zwei, Drei im Gleichschritt marsch passt Philip das Tempo auf dem Brustkorb des Mannes an und erreichen gemeinsam damit auch das Ende unserer Schicht.
Nur noch schnell ein kleines Leben gerettet, indem wir unsere Akademikerin vom Metallbett des Mannes entfernen, als die Belegschaft den Defi schussbereit hatten und dann auf nach hause.
Der Kaffee wartet.
-zu allem bereit-