„Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit“
Der Originaltitel lautet „Still Life" und ist, wie ich finde, ein sehr gelungenes Werk von Uberto Pasolini. Es ist ein „Stilleben“ – ein stiller, kleiner Film über einen stillen, kleinen Mann, der dennoch bewundernswert Großes vollbringt. Die langsame Entwicklung dieser ganz besonderen Geschichte endet in einem sehr berührenden Finale, bei dem man gar nicht so recht weiß, ob man lachen oder weinen soll, ich habe einfach beides getan...
Zur Geschichte: John May (Eddie Marsan) arbeitet als Beamter in einer Londoner Behörde. Dort kümmert er sich um die Beerdigungen von Menschen, die einsam, ohne jegliche Angehörige verstorben sind. In seiner Arbeit versucht er in akribischer Weise, doch noch irgendwelche Menschen zu finden, die den Verstorbenen gekannt haben und die an der Beerdigung teilnehmen würden, um dem Verstorbenen damit die letzte Ehre zu erweisen. Mr. May vollzieht seine Arbeit auf bemerkenswerte Art und Weise: anhand der Überbleibsel in den Wohnungen der Verstorbenen, versucht er, möglichst genau auf die jeweilige Person einzugehen, z.B. sucht er passende Musik für die Beerdigung aus, organisiert die Beisetzung in der Form, wie es dem Verstorbenen wohl am ehesten entsprochen hätte und schreibt sogar die Trauerrede anhand von Briefen, Fotos, Utensilien, die er in den Wohnungen vorgefunden hat. Meist ist Mr. May neben dem Geistlichen der Einzige (Trauernde), der an der Trauerfeier teilnimmt. Dennoch ist jede dieser Bestattungen voller Würde und Respekt. Wenn ein „Fall“ abgeschlossen ist – in der Akte erhält er dann den Eintrag „case closed“, nimmt Mr. May ein Foto der/des Verstorbenen mit nach Hause und nimmt es auf in sein eigenes Archiv, ein Fotoalbum, in dem all die von ihm auf diese Weise betreuten Menschen einen letzten Platz der Erinnerung erhalten - man gewinnt den Eindruck, es ist seine eigene Familie.
Zur Person: Mr. May ist Mitte 40, lebt allein in einer kleinen Wohnung, in der er akribisch und penibelst Ordnung hält – in seinem Leben hat alles schon zwanghaft seinen Platz und seinen Ablauf. Hier finden sich sehr schöne Beispiele für deutlich ausgeprägte Eigenheiten, die auf eine Zwangsstörung des stillen kleinen Mannes hindeuten. So widmet er sich z.B. täglich der Pflege seines Fotoalbums mit den Bildern all seiner verstorbenen "Klienten", regelmäßig und immer in derselben Methodik, nachdem er sein bescheidenes, immer gleiches Abendessen verzehrt hat. Dabei sind die Utensilien auf seinem Schreibtisch exakt im 90-Grad-Winkel angeordnet, er ist stets akkurat aber unauffällig gekleidet, seine Wege zur Arbeit und nach Hause zurück sind stets gleich und bei jedem Überqueren der Straße blickt er erst dreimal nach rechts und links, bevor er sie betritt.
Als ihm eines Tages aus Rationalisierungsgründen unverhofft gekündigt wird, wacht er gewissermaßen aus seinem streng geregelten und strukturierten Leben auf. Er beginnt, mit allen Mitteln darum zu kämpfen, seinen „letzten Fall“ noch lösen zu dürfen. Es handelt sich dabei um den Alkoholiker Billy, der zufälligerweise genau gegenüber von May gewohnt hat und erst nach einigen Tagen in seiner völlig verdreckten Wohnung aufgefunden wird. May gibt nun alles daran, Verwandte oder Freunde von Billy zu finden und scheut dabei keine Mühen und Kosten, er gibt seine ganze Freizeit in dieses „Projekt“, belügt dabei sogar seinen Chef, nur, um dem Verstorbenen doch noch irgendwie die letzte Ehre erweisen zu können. Bei den Recherchen findet er heraus, dass es offensichtlich aber niemanden gibt, der dem trinksüchtigen Choleriker nachtrauert und doch finden sich nach und nach Puzzleteile aus dem Leben von Billy, die zeigen, dass es doch tatsächlich Menschen gab, die ihm nahestanden und ihn liebten.
Im Laufe des Films bleibt es nicht aus, dass man Mr. May, diesen an sich sehr langweiligen, spießigen, peniblen, kleinen, pausbäckigen, unscheinbaren und sehr einsamen Mann, doch irgendwann ins Herz schließt. Die Parallelen zwischen ihm und seinen „Fällen“ werden dabei mehr und mehr deutlich – es zeichnet sich ab, dass May irgendwann auf ganz ähnliche Art und Weise sein einsames Leben beschließen wird – kein Mensch wird ihm dereinst nachtrauern oder ihm ein würdiges Begräbnis ausrichten ... vielleicht kämpft er in seinem letzte Fall auch gerade gegen dieses Schicksal und die Einsamkeit an. Dabei durchläuft May eine bemerkenswerte Veränderung, die man nur allmählich richtig wahrnimmt. May ist es bei allem in seinen langen Jahren in diesem eigenwilligen Beruf gelungen, sich seine Menschlichkeit zu bewahren, die Toten sind für ihn nicht nur Nummern oder Fälle, die es abzuschließen gilt, er sieht in ihnen auch die Menschen, die bedauerlicherweise allein gestorben sind und die niemanden mehr hatten, der sich um sie gekümmert hat.
Das Filmfinale bildet schließlich eine ganz wundervolle Balance zwischen Traurigkeit, Wahrhaftigkeit, Wehmut und Freude und macht so das Ende des Films zu einem kleinen, zauberhaften Wunder. Vordergründig einsam und anonym und dabei doch im Zentrum all seiner „Freunde“ tritt May schließlich von der Bühne der Welt ab. Am Ende kann man sich eigentlich nur eines wünschen: dass sich irgendwann jemand findet, der auch unser eigenes Begräbnis einmal so wundervoll arrangiert ...