Sie hatte zwei Wochen vor mir die Prüfung im Gesundheitsamt und hat einen kleinen Kulturschock erlitten. Sie saß vor drei stummen, nicht gerade positiv gesinnten Menschen, die sie immer wieder unterbrochen haben und musste auch von den Damen einige zickige Attacken ertragen. Es kamen auch fiese Fallen wie: welche Medikamente würden Sie empfehlen? - was wir natürlich überhaupt nicht dürfen. Ich glaube, ich lehne mich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich sage, dass ihre Prüfung Stress pur war. Ich habe mich auf genau diese Sorte Prüfung eingestellt und empfand mich auch gut vorbereitet.
Somit war ich extrem überrascht, dass ich nicht die gleichen Prüfer antraf . Ich hatte ein reines Männer Trio. Der Therapeut, Herr Müller, hat mich hauptsächlich geprüft. Danach der Heilpraktiker, Herr Alf. Der Amtsarzt hat lediglich Rückmeldung am Schluss an mich gerichtet.
Ich hatte von Anfang an das Gefühl, dass ich menschlichen und wohlgesonnen Individuen gegenübersitze. Die ganze Prüfung über habe ich dieses Wohlwollen immer wieder gespürt. Es wurde immer auf mich eingegangen und nicht einmal eine fiese Fangfrage gestellt. Meine Prüfung bestand aus sehr viel Schweigen. Aber nicht unangenehm. Mir wurde eine Frage gestellt und dann hat man mich einfach reden lassen. Ich hatte viel Zeit zum Nachdenken und habe oft aus dem Fenster geschaut und laut vor mich hin gedacht. Dabei bin ich wirklich in alle Richtungen gesprungen. Ich hatte immer das Gefühl, dass ich höchstens 80% von dem sage, was gehört werden wollte. Offensichtlich waren es die richtigen 80%.
Gleich zu Beginn wurde mir die Frage gestellt was ein XY Prozess ist. Und wie der Ablauf sei. Den Prozesses kannte ich aber nicht und den Begriff auch nicht. Ich habe, und würde das auch jedem anderen empfehlen, immer transparent gesagt, wenn ich etwas nicht wusste. Ich denke das ist immer besser, als falsch zu beantworten. Ich habe aber auch immer trotzdem eine Antwort gegeben. Z.b. so: mit dem Begriff kann ich nichts anfangen, aber er erinnert mich an das und das und deshalb erzähle ich Ihnen jetzt etwas über das und das. Ich wurde nicht unterbrochen und die Prüfer haben mit mir diesen Weg dann eingeschlagen. Ich bin überzeugt, hätte ich Silvanas Prüfungsteam gehabt, wäre das allerdings nicht so gewesen!
Fragen die mir gestellt wurden:
Ist ihnen der Name Erwin Ringel ein Begriff - ja. Ich war bereits auf das Thema Suizidalität vorbereitet, da dies oft gefragt wird. Leider kam nun eine komplett andere Frage als erwartet: Was können Sie mir über die histrionische Suizidalität erzählen? Leider gar nichts, da ich den Begriff nicht kannte.
Das habe ich ihm auch so erklärt, habe aber auch gesagt, dass ich gerne laut darüber nachdenken werde. Ich habe über die histrionische Persönlichkeitsstörung gesprochen und den Herkunft des Begriffes hystria, Gebärmutter und histrio, Schauspieler. Er ist auch da sofort mit mir auf diesen Zug aufgesprungen und wollte genau wissen wie es zu dem Begriff der Hysterie kam. Darauf war ich dank Savina sehr gut vorbereitet. Ich erinnere mich nicht, ob ich auch erwähnt habe, dass Persönlichkeitsstörung selbstverständlich auch in der erhöhte Suizidalität mit sich bringen, aber jetzt fing das Raten an. Ich sagte, ich könnte mir vorstellen, dass jemand mit der histrionischen Persönlichkeitsstörung aufgrund der starken Emotionen vielleicht im Affekt zu einem spontanen Suizid tendiert und aufgrund dessen die Entwicklung des präsuizidalen Syndroms bzw. die Suizid Stadien nicht zum tragen kommen. Auch hier hatte ich nicht den Eindruck, dass ich hundertprozentig gesagt habe, was der Prüfer wissen wollte. Er hat dann gemeint, Histrionik, histrio, Schauspieler, da könnte man ja auch meinen, es sei nicht echt oder sei übertrieben. Ich habe an dieser Stelle erklärt, dass man jede psychische Erkrankung ernst nehmen muss, da selbst jemand mit einer artifiziellen Störung in der Biografie eine Verletzung, wenn ich sogar Traumatisierung stattgefunden hat, welche die Person zu diesem Verhalten treibt. An dieser Stelle haben die Prüfer wieder Häkchen gesetzt und das Thema wurde gewechselt.
Woran erkennen Sie, dass jemand psychotisch ist?
Auch bei der Frage kam ich ins Schwimmen, weil für mich völlig klar ist, wenn jemand psychotisch ist. Aber woran erkennt man es? Ich habe Wahn, ich-Störungen und Halluzinationen angegeben. Habe beschrieben, dass Menschen im Gespräch mitunter beim Reden aufhören oder zur Seite schauen, weil sie etwas hören oder dort etwas sehen können. Ich habe Störungsbilder aufgezählt, bei denen es zu psychotischem Erleben kommen kann. Bei der Schizophrenie tritt auch kulturell bizarres Verhalten auf, außerdem nannte ich psychotisches Erleben bei Manie und Depression. Als ich ins Straucheln geriet, bot mit der Prüfer eine weitere Frage an.
Wenn jemand Ihnen sagt, dass er Gottes Stimme hört, was machen Sie dann? Dort musste ich schmunzeln und erklärte, dass viele Gläubige der Meinung sind Gottes Stimme zu hören und deshalb noch lange nicht psychotisch sind. Er präzisierte, dass wenn in diesem Fall jedoch die Person psychotisch sei, was ich dann täte. Ich ging auf den Dopaminüberschuss, auf Antipsychotika und dass die Person deshalb den Kontakt zum Psychiater oder die Einweisung in eine Psychiatrie notwendig seien.
Die nächste Frage des Prüfers war, was wenn er nicht gehen möchte. Ich sagte ganz offen, dass ich dies als schwierige Situation empfinde, weil durch den fehlenden Krankheitseinsicht es wirklich schwer ist, jemanden davon zu überzeugen, doch bitte in eine Klinik zu gehen. Ich umriss das Thema Zwangseinweisung und verbesserte Lebensqualität, fand jedoch meine eigenen Argumente nicht besonders überzeugend. Den Prüfern haben sie ausgereicht und er hat mich auch nicht in die Enge getrieben und gefragt, wie das genaue Vorgehen wäre, bei einer Zwangseinweisung, mit dem ich eigentlich gerechnet hätte.
Als nächstes kam der Fall, der sehr ausführlich beschrieben wurde und man hat genug Zeit um gemütlich mitzuschreiben. Das wusste ich von Silvana. Aus dem Grund sollte man auch unbedingt Schreibmaterial und leere Blätter mitbringen! Den Fall darf man später nicht mitnehmen.
Komplex war der Fall dadurch, dass der zeitliche Ablauf durcheinander erzählt worden ist. Ich habe mir auch erlaubt, immer wieder Rückfragen zu stellen wie die aktuelle Situation der Klientin sei. Fr. Z., 35 Jahre alt mit distanzierten beherrschten Auftreten kommt in die Praxis. Sie hat ihre Langzeitbeziehung beendet für einen Yogalehrer, den sie in einem Kurs kennengelernt hat. Sofort hat sie sich in ihn verliebt und nachdem sie sich erst heiße E-Mails geschrieben haben, kamen sie auch sexuell zusammen. Während dem Kurs hatte sie Erfahrung von außerkörperlichen Erscheinungen während der Meditation und auch den Eindruck sie können in die Zukunft sehen. Kurz darauf hat der Yogalehrer ihr jedoch den Laufpass gegeben und seit dieser Zeit geht es ihr psychisch schlecht. Sie hat allerdings ein soziales Netz, Hobbys, einen guten Job und keine Schlaf Probleme. Alles in allem also eine stabile Situation. Ich bin sofort in Richtung Anpassungsstörung gegangen, je nachdem mit oder ohne depressive Reaktion, dafür wurden zu wenige Symptome genannt. Jedem Fall ein langer Verlauf wegen einem Zeitrahmen von fast 2 Jahren. Je nach Zeitfaktor könnte das Ganze in Richtung Dysthymia gehen, doch die 2 Jahre waren noch nicht erfüllt. Depressive Episoden konnte man sehr schnell ausschließen.
Der Prüfer erkundigte sich nach psychotischem Erleben in Bezug auf die Meditationskurse. Offenbar wollte er da einen Zusammenhang zwischen seinen Fragen zuvor herstellen. Für mich war jedoch sofort klar, dass es sich hierbei nicht um psychotisches Erleben handelte, da die Vorfälle nur innerhalb der Meditation in diesem Kurs stattgefunden hatten und anschließend nicht mehr.
Was ich versäumt habe zu fragen war, ob sie Substanzen zu sich genommen hatte.
Später wurde noch gefragt, wie ich mit der Dame arbeiten würde. Mein Schwerpunkt lag dabei auf dem Umgang mit ihren Emotionen, die sie offenbar nicht gut ausdrücken kann, vielleicht auch nicht empfinden kann? Roborierende Maßnahmen. Da sie ja sehr viele Ressourcen hat mache ich mir bezüglich Suizidalität bei der Klientin keine Sorgen, habe es aber sicherheitshalber trotzdem erwähnt.
Später hat der Amtsarzt kritisiert, dass ich keine organischen Ursachen aufgeschlossen hat. Er nannte eine Schilddrüsenunterfunktion als Verdachtsdiagnose. Ich konnte ihm dann in wenigen Sätzen erklären, dass bei einer Schilddrüsenunterfunktion sehr viele deutliche andere Symptome hätten vorherrschen müssen, wie Gewichtszunahme, Lethargie, Kälteempfinden et cetera. Das hat ihm dann gereicht.
Sehr ausführlich hat mich dann noch der Heilpraktiker zum Thema Depressionen geprüft. Insgesamt muss ich sagen, dass ich die Prüfung ohne viele Jahre Erfahrung aus der Praxis nicht hätte bestehen können! Es wurden auf Depression eingegangen und Therapie für Depressionen. Ich habe die Grundsymptome und weitere Symptome geschildert und natürlich treu auf die Verhaltenstherapeuten verwiesen. Mein Prüfungsbuch für mündliche Prüfung hat explizit immer wieder darauf hingewiesen. Damit hatte er aber offenbar gerechnet, denn er meinte schmunzelnd, dass nicht jeder Depressive zu einem VerhaltensTherapeut gehe, was ich denn mit ihr täte. Vorher hatte ich bereits ausgeschlossen, dass es sich um eine mittelgradige oder eine schwere Depression handelt und Medikamentengabe nicht unbedingt nötig seien. Ich habe trotzdem einen Verweis auf dem Psychiater erwähnt.
Ich habe erste allgemeine Verfahren erwähnt, roborierende Maßnahmen, Selbstwirksamkeit, Dankbarkeitstagebuch, Schlafhygiene, bilaterale Stimulierung durch Spaziergänge, et cetera. Danach Tanz-, Mal- und andere Kunsttherapieformen. Das war ihm jedoch zu allgemein und er fragte mich genauer, was ich genau tun würde. Irgendwann geriet ich sehr schnell ins Schwimmen.
Er war so nett und hat die Frage umformuliert: auf was müsste ich als Therapeutin achten, wenn nicht ein depressives Gegenüber habe. Mit dieser Frage konnte ich deutlich mehr anfangen. Ich ging darauf ein, das es wichtig sei, sich nicht in den negativen Sog mit runterziehen zu lassen, die fehlende Motivation des Gegenübers auszuhalten und keinen Druck zu machen, wenn die vorgeschlagenen Hausaufgaben nicht praktiziert werden. Generell dem Gegenüber das Tempo bestimmen lassen . Außerdem aufgrund der guten Prognose Hoffnung zu geben und ein stabiles Gegenüber zu sein wo eventuelle Reizbarkeit auch aushält.
Damit endete die Prüfung und ich wurde hinaus geschickt. Ich konnte noch nicht mal 10 Schritte aus der Tür gehen, ehe ich bereits wieder hinein geschickt wurde. Ich wurde für mein deutlich vorhandenes Wissen und meine praktischen Erfahrungen gelobt. Insgesamt kann ich sagen, dass die Prüfung sehr viel humaner war, als ich erwartet hätte. Ich habe wirklich Schlimmeres erwartet, möchte aber auch betonen, dass viel von genau diesem Prüfungsteam abhängig war. Ich hoffe, das kann euch ein bisschen weiterhelfen.
Herzliche Grüße
eure Christina Benner