Was Upcycling und Hypnotherapie gemeinsam haben…
Was ist eigentlich Abfall? Der Duden definiert Abfall als: „Reste, die bei der Zubereitung oder Herstellung von etwas entstehen; unbrauchbarer Überrest“.
In der freien Natur kommt so etwas nicht vor. Daher möchte ich die Frage stellen, warum so etwas in unserer Psyche vorkommen sollte?
Was könnte psychischer Abfall sein? Stress, Blockaden und sog. psychische Krankheiten könnte man als den Abfall der Seele bezeichnen. Die Person, die z. B. eine Depression erlebt, wird von seelischem Abfall überschwemmt. Ein Konglomerat negativer Gefühle und Überzeugungen, die „wegmüssen“, die „verschwinden sollen“, um „endlich wieder das gute Leben leben zu können“.
Das sind Aussagen, die mir häufig in meiner Praxis begegnen und die ich sehr gut nachvollziehen kann. Kein Mensch leidet gerne! Wir wollen lieber glücklich und zufrieden durchs Leben gehen und wenn das nicht immer und vollkommen möglich ist, dann soll das Schlechte zumindest in einem Rahmen bleiben, der zu bewältigen ist.
Nun ist es leider so, dass schwere Zeiten, Krisen und Lebensveränderungen immer wieder auftreten. Daher ist die Frage nicht, wie kann ich solche Lebensereignisse vermeiden, sondern wie kann ich damit gut umgehen?
Die Idee des Upcyclings folgt dem Motto: „Nutzen statt wegwerfen!“. Das, was bereits da ist, nicht einfach wegzuwerfen, sondern nutzbar machen. So werden aus alten Tetra-Packs Portemonnaies, aus Autoreifen Flip-Flops und aus Holzpaletten Möbel. Dem „Abfall“ wird durch Be- und Verarbeitung ein neuer Wert gegeben.
Was hat das mit Hypnotherapie zu tun, fragen Sie sich jetzt vielleicht?
Zur Beantwortung dieser Frage, möchte ich Sie im Stile der Hypnotherapie zu einer kleinen Geschichte einladen, der Lebensgeschichte des Begründers der modernen Hypnose, Milton Erickson:
Milton H. Erickson (1901 – 1980) war ein Mensch, wie es ihn vielleicht nur selten gibt. Geboren als zweiter Sohn (von neun Geschwistern) eines amerikanischen Minenarbeiters, hatte ihm sein Leben einige Herausforderungen aufgegeben. So war er zeitlebens farbenblind, hatte eine Lese-Rechtschreibschwäche und las angeblich sein Wörterbuch viele hundert Male bevor er begriff, dass es alphabetisch aufgebaut war. Kurz vor seinem achtzehnten Geburtstag erkrankte Erickson so schwer an Polio, dass die Ärzte ihn für verloren hielten. Alleine sein Wunsch ihnen das Gegenteil zu beweisen und seine Mutter nicht durch seinen frühen Tod zu belasten, ließen ihn qua purer Willensanstrengung überleben. Als Reaktion auf diese übermenschliche Anstrengung fiel er sodann aber in ein mehrtägiges Koma und erwachte vom Hals abwärts gelähmt.
Erickson gab jedoch nicht auf, sondern nutzte diese Erfahrung des Todgesagten, der lebte, und seine körperliche Immobilität und begann die Welt um sich herum intensiv zu beobachten. Von seiner kleinen Schwester, die gerade laufen lernte, schaute Erickson sich ab, was er tun müsse, um ebenfalls wieder laufen zu können. Wiederum durch schiere Willensanstrengung, Fokussierung seiner mentalen Energien und seiner inneren Vorstellungskraft schaffte er es nach und nach einen Teil seiner Bewegungsfähigkeit wiederzuerlangen. Aus diesen Erfahrungen entwickelte er später seinen hypnotherapeutischen Ansatz.
Ein Jahr nachdem er die Fähigkeit zu laufen teilweise wiedererlangt hatte, begann Erickson an der Universität von Wisconsin Psychologie zu studieren und begab sich alleine auf einen 1200 Meilen Kanu-Trip auf dem er genügend körperliche Kraft zurückentwickelte, um auch ohne Krücken gehen zu können. Er hatte zeitlebens Schmerzen und musste besonders im Alter häufig auf seinen Rollstuhl zurückgreifen, nichtsdestotrotz soll er gesagt haben, dass die Polio das Beste gewesen sei, was ihm in seinem Leben zugestoßen sei.
In diesem kleinen Ausschnitt aus der Lebensgeschichte Milton Ericksons lässt sich sehr gut erkennen, was Ericksons hypnotherapeutischen Ansatz ausmacht. Eine Grundidee ist: Krankheit und Gesundheit sind immer eine Frage der Perspektive. Krankheitssymptome können als Ressourcen genutzt werden, um die Krankheit selbst zu heilen, bzw. um den Kontext zu verändern, so dass sie dem „Kranken“ zu Gute kommen.
Die Hypnotherapie richtet ihren Blick grundsätzlich auf die Ressourcen des Menschen, auf das was er oder sie kann und nicht das, was ihm oder ihr fehlt. Im Sinne des „Upcyclings“ besteht die besondere Kunst in der Hypnotherapie darin, nicht nur das zu betonen, was allgemein als Stärke anerkannt wird, sondern auch die Ressourcen in dem zu finden, was scheinbar krank, verrückt oder falsch erscheint. Hypnotherapie ist keine Zauberkunst, sondern lädt lediglich dazu ein, die Dinge aus einer neuen Perspektive zu betrachten.
So kann ein sog. „Depressiver“ zu einer Person werden, die sich sehr stark für die Bedürfnisse anderer einsetzt, eine hohe Empfindsamkeit aufweist sowie eine große Beharrlichkeit und Treue, selbst in schwierigen Zeiten und Momenten. Meine Erfahrung ist, dass, wenn man den Menschen verdeutlichen kann, welche Ressourcen in dem Verhalten und den Gedanken stecken, die sie gerne „weghaben“ wollen, wird es für sie sehr viel leichter mit den Auswirkungen umzugehen und so kann im Sinne des „Upcyclings“ aus „Abfall“ etwas wunderschönes Neues geschaffen werden.
Ich wünsche mir, dass wir (mich eingeschlossen) den Menschen mehr mit der „Ressourcen-Brille“ (im Sinne von Erickson) als der „Fehler-Brille“ begegnen und beginnen insbesondere die Dinge, die uns an uns selbst, aber auch bei anderen, am meisten stören daraufhin zu untersuchen, welche Ressourcen hier zum Vorschein kommen und wie wir diese nutzen können, um aus Abfall, Kunst zu schaffen.
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