Lieber Attila
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Ein grosses Thema bei mir ist das Loslassen. Ich möchte dazu hier ein Erlebnis teilen, das ich die vergangenen zwei Wochen hatte.
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In der Yoga-Sutra steht:
1. Yama - Der Umgang mit der Umwelt
Aparigraha - Loslassen: 2-39: Wer im Loslassen (aparigraha) gefestigt ist, erkennt den Grund seiner Existenz.
Eine Kursteilnehmerin sagte dazu: Nur wenn ich einen Schreibstift in die Hand nehme, kann ich ihn auch hinlegen (loslassen). Mit anderen Worten: Nur wenn ich etwas annehme, kann ich es auch loslassen.
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In der Nacht zum 5. Dezember hatte ich im Bett eiskalte Füsse und Unterschenkel. Auch im Zug und in der Schule, wo es mir sonst immer ein bisschen zu warm ist, blieben meine Füsse und Unterschenkel kalt. Es war eine Kälte, wie ich sie noch nie zuvor gespürt habe. Es war eine ganz andere Kälte, als wenn man zum Beispiel draussen im Schnee ist und kalte Füsse kriegt. Ich fühlte die Kälte zwar im Körper, doch war sie so tief im Körper drin, dass sie bereits ausserhalb des Körpers zu sein schien. Es war eine Grabeskälte. Ich dachte sofort an die Eisprinzessin.
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Als ich am frühen Nachmittag des 5. Dezember wieder zu Hause war, fühlte ich mich schlapp. Der ganze Körper tat mir weh. Ich habe mich bei der Schulleitung vom Unterricht abgemeldet. Bevor ich am Abend zu Bett ging, habe ich unter der Dusche meine Füsse und Unterschenkel aufgewärmt. Es dauerte eine ganze Weile, bis die Wärme des Wassers meine Unterschenkel und Füsse ganz durchdrungen hatte.
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Damit meine Füsse im Bett warm blieben, habe ich drei Paar Wollsocken angezogen. Über den Schlafanzug zog ich mir zwei Paar Jogging-Hosen und drei Winterpullover an. So legte ich mich ins Bett. Ich liess sogar die Heizung im Nachtmodus über Nacht laufen. Fieber hatte ich keines und trotzdem war mir gerade warm genug zum schlafen. Diese eigenartige Grabeskälte musste also in meinem gesamten Körper sein.
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Am nächsten Morgen wachte ich mit heftigen Schmerzen im Körper auf. Es waren keine normalen Gelenk- und Muskelschmerzen, die üblicherweise bei Grippe auftreten. Diese Schmerzen waren, genau wie die Kälte in den Füssen und Unterschenkeln, ganz tief in meinem Körper, sodass sie schon wieder ausserhalb des Körpers zu sein schienen. Das Verrückte an der Geschichte ist, dass ich mich trotzdem bewegen konnte. Wenn ich meinen Körper berührte, war kein Schmerz mehr da. Ich konnte tagsüber auch problemlos am PC sitzen und abends an Deinen Webinaren teilnehmen.
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Sobald ich mich jedoch ins Bett legte, schoss der Schmerz in meinen Körper. Es war ein brennender, stechender, pulsierender Schmerz, der mir fast den Verstand raubte. Es fühlte sich an, wie wenn jemand tausende glühendheisse Nadeln auf einmal in meinen Körper stecken würde. Ich konnte in den Händen und Füssen jeden Muskel und jeden Knochen fühlen. Besonders schlimm war der Schmerz, der von der linken Seite des Beckenknochens ausging. Er verbreitete sich immer stärker pulsierend über des ganze Becken und über beide Oberschenkel. Ich tauchte über ruhiges, tiefes Atmen und entspannen, immer tiefer in diesen Höllen-Schmerz ein. Irgendwann schlief ich dann ein. Als ich einige Stunden später wieder erwachte, war der Schmerz zwar weg, aber ich war total steif. Ich erinnerte mich noch wage an einen Traum von einer Explosion in einem Raum. Ich wurde durch die Wucht der Explosion zu Boden geschleudert und unter Trümmern begraben, blieb jedoch am Leben.
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Der Mensch hat mehr Angst vor Schmerz als vor dem Tod. Auch ich verspürte wenig Lust, diese Schmerzen noch einmal zu erleben. Dennoch wusste ich, dass sie aus einem bestimmten Grund hier waren, und ich mich ihnen stellen musste. Das ist sicher auch der Grund, weshalb ich keinen Augenblick daran dachte, Schmerzmittel zu nehmen oder zum Arzt zu gehen.
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Die Schmerz-Attacke dauerte sieben Tage. Die ersten drei Tage habe ich das zu-Bett-gehen hinausgezögert. Ich wäre am liebsten nie mehr schlafen gegangen. Doch dann habe ich die Strategie geändert. Ich legte mich ins Bett, wann immer ich das Bedürfnis dazu hatte und hiess den Schmerz willkommen. Ich erlaubte ihm da zu sein, obwohl er dadurch keineswegs angenehmer wurde. Ich wachte jedes Mal steif auf dem Rücken liegend aus diesem Explosionstraum auf.
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Es war mir egal, wie viele Tage, Wochen, Monate oder gar Jahre, dieser Schmerz noch kommen würde. Er durfte ganz einfach da sein. Seit zwei Nächten ist kein Schmerz mehr gekommen. Ich habe keine Ahnung, ob das so bleiben wird. Ich nehme es einfach so, wie es ist. Inzwischen brauche ich auch weniger Kleider zum Schlafen. Auch die Grabeskälte scheint sich langsam aus meinem Körper zurückzuziehen.
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Liebe Grüsse
Pia