Es gibt zwei Augenblicke am Tag, wo wir ganz wir selbst sind: Der Augenblick nach dem Aufwachen und der letzte Augenblick vor dem Einschlafen. Und doch sind wir in beiden Augenblicken nicht die gleiche Person. Nach dem Aufwachen haben wir noch keine Masken aufgelegt, hier trägt uns noch die Frische unserer Geburt nach dem Schlaf. Vor dem Einschlafen sind wir ermüdet vom Tag und wissen, daß wir nun nackt in eine andere Welt gehen, den Traum, und legen deshalb auch die letzte Maske ab. Es lohnt sich, diese Momente genau zu beobachten, zu vergleichen und die Essenz aus diesen Augenblicken zu gewinnen und diese tagsüber als Kompass für unsere Taten zu verwenden. Denn genau da wollen wir letztlich hin: Ohne Masken zu leben, oder zumindest unsere Masken mit Leichtigkeit zu tragen.
Den gleichen Prozeß machen wir im Großen auch in unserem Leben durch, deswegen sind wir am nächsten zu unserem wahren Wesen noch als Kind und im Alter, wenn wir uns auf den Tod vorbereiten. Geschlechtlichkeit und persönliche Merkmale ziehen sich in diesen Phasen noch oder wieder zurück und wir treten immer stärker in das pure Sein ein. Das Kind erfährt und lebt in der Welt noch unbefleckt und unbedacht der Konsequenzen seiner Taten. Wenn der alte Mensch seinen Frieden gefunden hat, freut er sich über jeden Kontakt und ist bemüht seinen Mitmenschen im Großen oder auch nur im Kleinen, zu helfen.
Um möglichst direkt zu diesen Erkenntnissen zu gelangen, ist es im Yoga üblich, früh schlafen zu gehen und früh aufzustehen. Denn wir alle kennen, wie es sich anfühlt, wenn wir am Abend eigentlich schon müde sind, aber dann noch dies und jenes machen, egal ob wir etwas erledigen oder noch meinen, unbedingt lesen zu wollen. Es ist dies nur ein Hinausschieben, dieser wichtigsten Erkenntnis. Natürlich ist es etwas anderes, wenn man gerade für eine Arbeit brennt, ein Buch fertigschreibt oder ein Projekt abschließt, das einem am Herzen liegt. Ich meine die Abende, die man vertut. Es ist auch in Ordnung, wenn das frühe Schlafengehen und Aufstehen nicht unserem Rhythmus entspricht, aber die zwei wichtigsten Augenblicke des Tages sollten wir nicht in die Unbewußtheit verdrängen.
Man kann auch beobachten, wie mit voranschreitendem Alter unser Schlafrhythmus immer regelmäßiger wird, oft gegen unseren Willen. Wir werden einfach am Abend schneller müde und wachen am Morgen zu unserer festen Zeit auf. Nicht selten beginnt sich auch mit voranschreitendem Alter die Schlafzeit zu verkürzen. Wir wollen nicht mehr unser Leben “verschlafen”, der Ruf unserer Seele nach Bewußtheit wird immer stärker. Jeder Tag ist eine Gelegenheit, in Bewußtheit aufzuwachen und wenn die Zeit gekommen ist, sich der Auflösung unserer Person durch den Schlaf zu überantworten.
Wer Lust hat, kann schon mal diese zwei kleinen Übungen ausprobieren:
Nimm Dir jeden Tag ein paar Minuten Zeit, das Gefühl in Dir wirken zu lassen, welches als erstes am Morgen in Dir aufsteigt. Merke Dir dieses Gefühl, bewahre es wie ein Bild und führe es Dir bei Gelegenheit tagsüber immer wieder vor Augen.
Wenn man allzu müde ins Bett geht, schläft man schnell ein. Deshalb lohnt es 10-15 Minuten eher ins Bett zu gehen, als geplant, um diesen Übergang ganz in Ruhe und entspannt zu erfahren. Im Dunkeln im Bett liegend, kann man den Tag und seine aktuellen Gedanken Revue passieren lassen - nicht, um hier und jetzt nach Lösungen zu suchen, sondern um sie unbeteiligt zu Beobachten. Zu sehen was sie machen und wie sie auf mich wirken.