Jetzt habe ich ein bisschen gewartet, damit jeder noch die Chance hat etwas zu schreiben, aber ich glaube jetzt tut sich nichts mehr...
Der AA hatte bei diesem Fallbeispiel eine hochgradig suizidale Patientin im Sinn, die er unter einem "fadenscheinigen" Symptom vorbei geschickt hat. Man musste hier ALLES selbst genau erfragen, da er diese Patientin sehr wortkarg erscheinen lies. Auf genaues Nachfragen hin der Leitsymptome hat er diese aber bejaht.
Es war unsere Aufgabe "das schwammige" greifbar zu machen und genau auf den Punkt zu sein, alle Haupt- und Nebensymptome zu erfragen und vorallem die Suizidalität abzuklären.
Wenn man über Depression im Fallbeispiel "stolpert", ist es enorm wichtig alles rund um die Depression genau zu erfragen, BEVOR man irgendeine eine weitere Untersuchung macht/Empfehlung/Therapie anspricht.
Man kann über die Anamnese/Inspektion nach ICD-10 die Diagnose wirklich absolut exakt stellen ohne, dass man den Arzt dazu braucht und außerdem im nächsten Schritt den Schweregrad einordnen (das geht auch über ICD-10 bzw. sobald Suizid im Raum steht ist es automatisch ein schwerer Verlauf).
Ich habe euch hier unten zur Erinnerung das Vorgehen bei Depression aufgelistet. Eure Frage war ebenfalls, woran man den Suizid erkennen könnte. Das wird durch den Exkurs ebenfalls unten beantwortet - also direktes Ansprechen und durch Ringel/Pöldinger/NGASR untermauern.
Den Suizid konnte man in diesem Fallbeispiel nur durch direktes Nachfragen auf die Bemerkung hin "hach, der Karl-Heinz fehlt mir schon" (O-Ton AA) aufdecken.
Ich habe die Frau, die dieses Fallbeispiel in ihrer Prüfung hatte, leider erst nach ihrem Prüfungsversuch kennengelernt. Der AA hatte die Prüfung abgebrochen, weil sie den extrem bedrohlichen Suizid, den er in seinem Kopf für die Patientin vorgesehen hatte, nicht erkannt hat. Er hatte das Szenario für sich so festgelegt, dass die Frau im weiteren Verlauf ein Fall für 110 ist. Er hat aber nichts "verraten", sondern ALLES erfragen lassen.
Wir können nur "sehen was der AA sieht" indem wir unsere Wahrnehmung des Falls an die des AA angleichen und da wir die Patientin nicht vor uns haben, müssen manchmal ALLE Details erfragt werden.
Ich finde auch wichtig, dass man weiter nach der Ursache der Obstipation forscht und auch nach der Ursache der Depression. Vielleicht liegt hier auch noch etwas anderes vor als "nur" reaktiv!
Allerdings war das bei diesem Fallbeispiel nicht möglich, weil die Erkrankung zu schwerwiegend - und damit kein Fall für den HP - war und sich wegen der akuten Suizidbedrohung - die langsam durchsickerte - doch noch zum Notfall entwickelt hat. Aber angesprochen hätte ich das auch, einfach gesagt, dass das natürlich total wichtig ist, nachdem die Notfallsituation abgewendet ist, um nichts zu übersehen und dass das durch den Mediziner weiter verfolgt werden muss...
Ihr Lieben, habe ich alle eure Fragen beantwortet? Und findet ihr den Rest durch die Auflistung unten?
War das Fallbeispiel hilfreich für euch?
Ich wünsche euch ganz schöne Feiertage.
liche Grüße
Exkurs Depression
1. Diagnose stellen
2. SCHWEREGRAD bestimmen
3. Ursache erforschen
leichte Depression
Hauptsymptome Zusatzsymptome
2 2 2 Wochen
mittelgradig
2 3 höchsten 4 2 Wochen
schwere Depression
alle 3 mind. 4 2 Wochen
Symptome
Hauptsymptome:
Antriebsverlust, motorische Hemmung, Energielosigkeit, Libidoverlust
Verlust von Interessen und Freude, traurig®Gefühl der Gefühllosigkeit,
Depressive Stimmung, herabgestimmt (Melancholisch)
Nebensymptome:
schwere Schlafstörungen, Einschlaf-[1], Durchschlafstörungen, Wachliegen, morgendliches Früherwachen[2]
Appetitminderung, Verstopfung
Schuldgefühle und Gefühl von Wertlosigkeit,Verzweiflung, Freudlosigkeit, Leere
negative pessimistische Gedanken
formale (Gedankenkreisen, Denkhemmung...) + inhaltliche Denkstörungen (Kleinheitswahn, Versündigungswahn, Verarmungswahn, Schuldwahn)
Vermindertes Selbstwertgefühl und verm. Selbstvertrauen
Verlangsamung,
Verminderung von Konzentration und Aufmerksamkeit
ängstlich®alle Ausprägungen
Inspektorisch: Verwahrlosung, Mimik (fehlt bei Depression)
Suizidgedanken/-handlungen
Einschätzung des Suizidrisikos
Präsuizidales Syndrom nach Ringel (Ringel Trias)
- Einengung (SOZIALER RÜCKZUG, „RÖHRENBLICK“)
- Autoaggression
- Todesphantasien (Suizid wird kommuniziert)
Entwicklung der Suizidalen Krise nach Pöldinger
Erwägung
Ambivalenz
Entschluss
Abschiedsvorkehrungen
Suizidhandlung
SCHLÜSSELFRAGEN bei suizidalen Menschen PÖLDINGER 1989
1. Denken Sie daran, sich das Leben zu nehmen?
2. Häufig?
3. Denken Sie daran, oder müssenSie daran denken? Drängen sich die Gedanken auf?
4. Wie würden Sie es tun?
5. Wann wollen Sie sich umbringen?
6. Haben Sie mit anderen darüber gesprochen und wie haben diese reagiert?
7. Welche Vorbereitungen haben Sie getroffen?
8. Wissen Sie, wem Sie Abschiedsbriefe schreiben würden? Haben Sie schon einen geschrieben?
9. Was hat Sie bisher gehindert, einen Suizidversuch zu machen?
10. Haben Sie früher schon einen (mehrere) Suizidversuch(e) gemacht?
11. Gibt es Suizide in der Familie?
12. Leiden Sie unter schweren Schlafstörungen?
13. Sind Sie alleine in Ihrer Wohnung?
14. Haben Sie Freunde?
Einschätzung „Basissuizidalität“ NGASR[b][3][/b]
Kriterien
1) Vorhandensein/Einfluss von Hoffnungslosigkeit 3
2) Kürzliche, mit Stress verbundene Lebensereignisse
z.B.: Verlust der Arbeit, finanzielle Sorgen, schwebende Gerichtsverfahren 1
3) Deutlicher Hinweis auf Stimmen hören/Verfolgungsideen 1
4) Deutlicher Hinweis auf Depression, Verlust an Interesse oder Verlust an Freude 3
5) Deutlicher Hinweis auf sozialen Rückzug 1
6) Äußerung von Suizidabsichten 1
7) Deutlicher Hinweis auf einen Plan zur Suizidausführung 3
8) Familiengeschichte von ernsthaften psychiatrischen Problemen oder Suizid 1
9) Kürzlicher Verlust einer nahe stehenden Person oder Bruch einer Beziehung 3
10) Vorliegen einer psychotischen Störung 1
11) Witwe/Witwer 1
12) Frühere Suizidversuche 3
13) Vorliegen schlechter sozioökonomischer Verhältnisse
z.B.: Schlechte Wohnverhältnisse, Arbeitslosigkeit, Armut 1
14) Vorliegen von Alkohol ‐oder anderem Substanzmissbrauch 1
15) Bestehen einer terminalen Krankheit 1
16) Mehrere psychiatrische Hospitalisationen in den letzten Jahren,
Wiederaufnahme kurz nach der letzten Entlassung 1
Total 26
[1]Abendtief
[2]Morgentief
[3]Quelle: Abderhalden, Grieser, Kozel, Seifritz, Rieder 2005
Nurses Global Assessment of Suicide Risk = Globale pflegerische Einschätzung des Suizidrisikos