Prolog:
Heute ist der lang ersehnte Tag. Ich gehe nach 3,5 Jahren aufregender und spannender Lernzeit mit allen möglichen Höhen und Tiefen meinen HP-Schein abholen. Die Sonne scheint, es ist angenehm warm. Die Kinder verlassen 7:30 Uhr das Haus und sind bis 16:00 Uhr in der Schule. Alles soll so sein wie immer – mein Termin ist um 15:40 Uhr. Nur nicht den ganzen Tag verrückt machen!!!!!! Also frühstücke ich wie immer und schaue dabei das Morgenmagazin. Dann ist Lernzeit – wie immer. Ich schaue mir noch mal alle meine Zusammenfassungen über die Organsysteme durch. Jetzt kann ich in den Wald walken – herrlich – was für eine Herbstpracht. Danach duschen, Mittag essen und jetzt kommt mein Mittagsschläfchen – wie immer aber diesmal sogar 45 Minuten, Ich bin körperlich müde – das walken war gut. Um 14:00 Uhr mache ich mich fertig – ich ziehe genau die gleichen Sachen an wie bei der Schriftlichen – da ist ja auch alles gut gegangen. Meine Ankunft ist 1h zu früh – aber man weiß ja nie. Im Eingang kommt mir eine zukünftige Kollegin entgegen – irgendwie sehe ich nach mündlicher Überprüfung aus. Sie macht mir Mut. Alle wären nett und freundlich und fragen auch nur Dinge, die man eigentlich weiß. Sie strahlt. Ein schönes Gefühl. Oben sitzt im Flur eine Kandidatin – sie hat nach mir ihren Termin wie sich herausstellt. Na ja – lieber zu früh. Wir gehen nochmal an die frische Luft – eine Stunde im Gang sitzen – das würde ich jetzt nicht ertragen. Ihr Mann überredet sie zu einem Kaffee – ich setze mich in die Sonne und bin mit mir allein. In meiner Tasche sind die Zusammenfassungen und Übersichten. Ich lasse sie wo sie sind. Mein Kopf soll frei bleiben. Ich habe noch 40 Minuten bis zum Termin.
Auf einmal sehe ich Frau Ewald auf den Vorplatz kommen. Sie fragt mich, ob ich schon jetzt bereit wäre die Überprüfung abzulegen – Der eingeplante Termin des Amtsarztes hat weniger Zeit als geplant in Anspruch genommen. Was soll ich da sagen? Also geht es jetzt los.
Mündliche Überprüfung
Friedberg, Europaplatz
Amtsarzt: Dr. Merbs Beisitzer : Herr Wetzstein Protokoll: Frau Ewald
Ich komme in den hellen Raum mit dem runden Tisch.. Dr. Merbs und Herr Wetzstein begrüßen mich freundlich. Ich zeige Frau Ewald meinen Personalausweis, akzeptiere die Aufzeichnung auf das Tonband und wende mich dem Amtsarzt zu.
Dr. Merbs erklärt mir, dass ich ja in der schriftlichen Prüfung mein fachliches Wissen, dass sich auf einzelne Aspekte bezieht, bewiesen habe. Er möchte jetzt überprüfen, ob ich auch ein Organsystem als Ganzes mit Anatomie. Physiologie und Pathologie zusammenhängend verstanden habe. Nun geht es los.
Er bittet mich meinen beruflichen Werdegang zu schildern und zu erklären, warum ich Heilpraktikerin werden möchte. 48 Jahre, kurz und knapp zusammenfassen – darauf war ich gar nicht vorbereitet – egal – das muss jetzt irgendwie gehen. Ich erzähle von meinem Studium in Dresden und meinem Abschluss als Diplomingenieurin im Bereich Logistik, von meiner Arbeit in der Materialflusssimulation bei Dornier, von der Planung und Realisierung von Lagerprojekten bei Heyde und Partner, von meiner schweren Gestose bei der Geburt meiner Tochter vor 16 Jahren und dass es mir danach nicht ganz so gut ging, ich aber mit Hilfe der Naturheilkunde wieder nach und nach auf die Beine kam. Ich erzählte von der Begegnung mit Frau Dr. Reitz bei den Naturheiltagen in Friedberg und meiner Faszination bzgl. der Kinesiologie, dass ich diese unbedingt lernen wollte und auf dem Weg den Entschluss gefasst habe, Heilpraktikerin zu werden. Und nun sitze ich hier und möchte mich überprüfen lassen.
Alle hörten sehr gespannt zu, unterbrachen mich nicht und Herr Wetzstein nickte sein nettes aufmunterndes Nicken.
Dr. Merbs bittet mich nun etwas über den Urogenitaltrakt zu erzählen. Ich habe vor Schreck nur genital gehört und wollte schon mit den männlichen und weiblichen Geschlechtsorganen beginnen. Dr. Merbs unterbricht mich freundlich und sagt er hat da eher an die Nieren und die ableitenden Harnwege gedacht. – Gott sei Dank – die Geschlechtsorgane hatte ich nämlich ganz mutig abgewählt und mich nicht explizit vorbereitet. Also fing ich an alles über den Aufbau der Nieren, deren Funktion, die Arbeitsweise eines Nephrons , den Weg des Harns usw. zu erzählen. Dr. Merbs und Herr Wetzstein nicken bei jedem richtigen Fakt freundlich – ich weiß ich bin in dem Rahmen wie sie es hören wollen. Als ich erzählen wollte, dass sich die Harnblase bei einer Füllungsmenge von 500 ml entleeren möchte, wiegt Herr Wetzstein mit dem Kopf – also: das ist natürlich die maximale Menge, der Harndrang kommt bei ca. 300 – 400 ml. Alles ist wieder gut.
Na wenn sie so schön über Zahlen Bescheid wissen – wie viel Liter Blut fließen denn in der Niere und wie viel Harn wird denn abgepresst usw.? Ich weiß gar nicht mehr was ich gesagt habe, jedenfalls erklärt Herr Wetzstein noch mal die Mengen und ich höre geduldig zu.
Als nächstes kommt eine junge Frau mit wiederkehrenden Blasenentzündungen zu mir in die Praxis. Was machen Sie? Ich sage, dass ich erst einmal die Nieren auf Klopfschmerzhaftigkeit überprüfe und Fieber messe um sicherzustellen, dass das Nierenlager nicht betroffen ist. Ich frage wie mein Befund ist. Er ist negativ. Was machen Sie jetzt? Ich bin ein bisschen verdattert- irgendwie war die Zystitis zu einfach – in unseren Übungsfällen hatten wir immer die schwierigeren Fälle bearbeitet. Ich erzähle davon, dass es sich hier sicher um eine bakterielle Erkrankung handelt und möglicherweise Antibiotika eingesetzt werden muss und ich der Patientin raten würde viel zu trinken, sich warm zu halten und zum Arzt zu gehen. Ich sage, dass ich in meiner späteren Praxis sicher auch ein hom. Mittel finden würde. Er fragt woher die Bakterien denn kommen würden und warum Frauen häufiger betroffen sind. Ich erzähle von der kurzen Harnröhre und dass die E.colis aus dem Darm kommen und in der Harnblase pathologisch wirken.
Die Überprüfung per Urinstick hatte ich in der Aufregung ganz vergessen, Dr. Merbs fragt aber sehr freundlich, ob ich denn noch etwas untersuchen könnte. Ich erinnere mich an den Stick und er fragt nach den in diesem Zusammenhang wichtigen Parametern. Ich erwähne die Leukozyten. Das reicht ihm nicht – o.k. also das Nitrit. Damit ist er dann zufrieden. Herr Wetzstein nickt freundlich.
Nun erklärt mir Dr. Merbs, dass ich meine Patientinnen bzgl. der Wischtechnik aufklären sollte, um die Bakterien von der Scheide fernzuhalten. Er sagt auch, dass bei wiederholten Zystiden es sicher nicht ratsam ist, immer wieder Antibiotika einzusetzen.
Nun kommt ein alter Mann. ca. 70 Jahre zu mir, er muss nachts öfter auf die Toilette. Welches Problem vermuten Sie? Ich frage nach der Häufigkeit. Ca. 3-4 Mal. Ich erwähne als erstes ein Herzproblem. Daraufhin betont Dr. Merbs, dass es sich um einen alten Mann handelt. Ok. Also hat er wohl ein Problem mit seiner Prostata – bingo. Was machen Sie? Ich frage, ob der Harnstrahl dünn sei, Dr. Merbs bejaht, ich vermute einen gut- oder bösartigen Tumor. Zur Abklärung schicke ich den Mann zum Urologen. Dr. Merbs ist zufrieden – hier will er auch nichts von Kürbiskernen hören, schließlich kann die Krankheit ja tödlich enden.
Mein nächster Patient ist ein junger Mann mit eitrigem Ausfluss aus der Harnröhre. Ich schicke ihn zum Arzt, da ich die Gonorrhoe vermute.
Dr. Merbs überlegt, schaut zu Herrn Wetzstein und sagt, ich denke wir können Frau Röstel durchkommen lassen – Herr Wetzstein lacht und meint freundlich „Na ja – gerade so.“ Alle stehen auf, reichen mir freundlich die Hand und gratulieren mir. Es geht auf einmal alles so schnell, ich kann mir gar nicht mehr die schweißnassen Hände abwischen. Egal – das erleben sie heute sicher öfter. Frau Ewald erklärt mir noch, dass ich in den nächsten Tagen meine Urkunde bekomme und schon bin ich draußen. Meine Nachfolgerin schaut mir in die Augen – ich nicke und schon ist sie in Dr. Merbs Begleitung entschwunden. Ich gehe durch den langen Gang, die Entgegenkommenden gratulieren mir spontan. Ich muss gestrahlt haben wie ein Honigkuchenpferd.
Abspann:
Es ist 15:30 Uhr, mein Termin hat eigentlich noch nicht einmal begonnen und ich bin schon draußen – alles ist vorbei. Zu Hause werde ich erst gegen 17:00 Uhr erwartet. Ich sitze schon im Auto aber irgendwie kann ich jetzt noch nicht nach Hause – ich brauche noch ein bisschen Zeit für mich. Ich biege ab und gehe ins NOVUM einen Latte trinken – das Gefühl, das eigentlich noch nicht da ist – genießen. Ich denke an die Kinder, die in letzter Zeit auch so zurückstecken mussten und gehe eine Überraschung für sie kaufen.
Als ich kurz vor 17:00 Uhr zu Hause eintreffe und die gute Nachricht verkünde sind alle aus dem Häuschen und ich bekomme einen dicken Blumenstrauß von meinem Mann, die Korken knallen, wir stoßen an, alles ist schön. Nachdem die Kinder im Bett sind schnappen wir uns noch eine Flasche Sekt und überraschen unsere Lieblingsnachbarn.
Gegen 23:00 Uhr geht ein wunderschöner Tag zu Ende und ein neuer Abschnitt beginnt.
Für alle, die diesen Weg noch vor sich haben – die Mühe lohnt sich!!!!
An dieser Stelle möchte ich mich bei allen Menschen bedanken, die mich auf meinem Weg begleitet und unterstützt haben.
Herzlichst
Sandra