Mündliche Prüfung zum
Heilpraktiker Psychotherapie
am 10. Mai 2016
in Hannover
Dauer: 40 Minuten
1 Verwaltungsangestellte
1 Dipl. Psychologin
1 Arzt
Psychologin: Wenn Sie die Prüfung heute bestehen, was wollen Sie dann machen? Dann machen Sie ein Schild an ihre Tür?
Ich: Ja, das habe ich vor. (Hab dann erklärt, daß ich eine Praxis haben will usw.)
Psychologin: Was ist der Unterschied zwischen Beratung und Psychotherapie
Ich: Psychotherapie ist die Feststellung, Heilung oder Linderung von psychischen Krankheiten, Beratung hört dort auf, wo es einen Krankheitswert gibt
Psychologin: Wie beginnt eine Therapie?
Ich: Mit dem Erstgespräch. Erst offenes Gespräch, in dem der Patient sein Anliegen frei schildern kann. Dann saubere Anamnese
Psychologin: Was gehört alles zur Anamnese
Ich: Eigen- und Fremdanamnese, Medikamente, Vorerkrankungen, Biographie äußerlich und innerlich, Familienanamese und Psychopathologischer Befund.
Psychologin: Was ist der Psychopathologische Befund?
Ich: Die 17 Themenbereiche, die ich einzeln abfrage.
Psychologin (unterbricht): 17?
Ich: Ja, soll ich sie aufzählen?
Psychologin blickt mich schweigend an
Ich: Affekt, Bewußtsein, Kontakt, Psychomotorik und Antrieb, Denken, Intelligenz, äußeres Erscheinungsbild
Psychologin unterbricht schnippisch: Welche Symptom erkennen Sie denn am äußeren Erscheinungsbild?
Ich: Na, es geht dabei ja nicht nur um reine Symptom-Sammlung, sondern auch um die Beurteilung der Gesamtsituation. Ich sehe schon, ob jemand es geschafft hat, einigermaßen strukturiert zu mir zu kommen. Und das sollte ich auch wahrnehmen um Rückschlüsse zu ziehen.
Psychologin: Rückschlüsse worauf, was erkennen Sie denn am äußeren Erscheinungsbild?
Ich: Also ob er eben strukturiert ist, ob er die Körperpflege vernachlässigt oder auch an seiner Mimik, Gestik und Körperhaltung wie seine Grundstimmung ist
Psychologin: Aha, es geht also nicht nur um die Klamotten?
Ich: Nein! Ich erkenne auch, ob zum Beispiel jemand verhalten ist im Erzählen oder expressiv, ich könnte ein Gefühl dafür haben, daß er mir eventuell etwas verschweigt oder…
Psychologin unterbricht ungehalten: Zum Beispiel?
Ich: Zum Beispiel, daß er Drogen nimmt
Psychologin: Klar, weil die haben ja immer ihre Spritze oben in der Hemdtasche
Ich: Nicht zwingend, aber ich könnte bemerken, daß er verengte Pupillen hat. Wäre schon doof, wenn ich darauf nicht achte. Außerdem sehe ich ob jemand z.B. in sich gesunken ist, verschlossen ist usw. und da gehen dann sofort alle Alarmglocken bei mir an. Hier könnte es sich um depressive Verstimmung handeln und damit hohe Suizidgefahr. Die würde ich daraufhin sofort erfragen.
Psychologin: Aha
Ich: Na und wenn jemand zum Beispiel sehr zurückgenommen ist und schüchtern wirkt:
Psychologin unterbricht: Ist schüchtern ein Symptom?
Ich: Schüchtern in dem Sinne nicht. Aber zum Beispiel könnte eine Angsterkrankung dahinter stecken und daß der Patient unsicher ist.
Psychologin: Also ist Schüchternheit pathologisch?
Ich: Nein, das habe ich nicht gesagt. Einzelne Symptome sind sowieso selten pathologisch (außer die bei der Schizophrenie – habe ich aber nicht gesagt )
Psychologin: Also ist das Erscheinungsbild genauso wichtig wie die feststellbaren Symptome?
Ich: Am Ende bringt es mich gegebenenfalls auf die Symptome, die ich sonst nicht herausbekommen würde. Und nur anhand der Symptomsammlung kann ich puzzeln, um eine Diagnose zu stellen. Oder auch mehrere bei Komorbidität.
Psychologin: Es gibt ja Symptome, die kann man nicht erfragen. Nehmen wir mal Bewußtseinsstörungen, wie stellen Sie die fest?
Ich: Zum einen auch durch Beobachtung
Psychologin unterbricht augenrollend: Stimmt, wenn jemand im Koma ist, dann sehe ich das.
Ich: Ja, da haben Sie Recht. Und wenn er nur Benommen ist dann sehe ich das auch. Aber es geht ja nicht nur um die Vigilanzstörungen, sondern auch um die qualitativen Störungen. Ich kann schon bemerken, wenn jemand bewußtseinseingeschränkt oder –getrübt ist. Und dann kann ich aufgrund der Beobachtungen gezielt fragen
Psychologin: Neulich sagte ein Prüfling sogar, man könne auch Halluzinationen erfragen. So ein Quatsch. Derjenige weiß doch gar nicht, daß er Halluzinationen hat. Wie soll man denn das erfragen?
Ich habe das Stilmittel des Schweigens verwendet und sie angelächelt. Hat funktioniert. Sie hat weitergeredet :o)
Psychologin: Denkstörungen zum Beispiel, wie stellen Sie die fest? Was wissen Sie über Denkstörungen.
Ich: Das kann ich als aufmerksamer Therapeut auch im Gespräch feststellen und dann genauer erfragen. Ob jemand zum Beispiel eine Denkhemmung oder –Verlangsamung hat, umständliches Denken, inkohärentes Denken…
Psychologin unterbricht: Umständliches Denken? (Zieht die Augenbrauen hoch) Das machen ja wohl viele. Ist das krankhaft?
Ich: Nein, nicht zwingend. Wie jedes einzelne Symptom nicht krankhaft sein muß. Erst die Zusammensetzung der Symptome mit entsprechendem Zeitkriterium führt ggfs. zu einer Diagnose.
Jetzt schweigt die Psychologin
Ich: Wenn ich z.B. heute nacht im Bett liege und grüble, habe ich noch nicht zwingend eine Depression
Psychologin: Das weiß man nicht, das kann schnell kommen. Und was ist jetzt umständliches Denken?
Ich: Da werden fortlaufend Assoziationsketten gebildet, derjenige kommt von Höxken auf Stöcksken und bis er zum Ziel kommt dauert. Z.B…. (und dann habe ich ein Beispiel kreiert)
Psychologin: Aber das haben doch Leute mit gesteigerter Intelligenz. Die sind ja so voll mit Assoziationsketten, daß das immer sehr umständlich ist, bis sie auf den Punkt kommen
Ich: Ja, da kennen Sie sich gut aus!
Psychologin: Wie stellen Sie fest, ob jemand eine hohe Intelligenz hat?
Ich: Ich als HPP kann zwar Tests machen, aber das interessiert niemanden. Ich würde immer anraten, zum einem Psychologen zu gehen und einen Test machen lassen. Hier wird meistens der Hamburger-Wechsler-Test gemacht, den gibt es für Erwachsene und für Kinder
Psychologin: Welche Störungen dürfen Sie behandeln?
Ich: kausal nur die aus dem psychogenen Formenkreis des Triadischen Systems. Also nicht die endogenen und exogenen Psychosen, die dürfen wir nur begleitend behandeln.
Psychologin runzelt die Stirn: Also welche genau dürfen Sie behandeln?
Ich: Im Wesentlichen die aus der F4, also neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen
Psychologin: Was heißt „A4“?
Ich: F4… das ist das Kapitel in der ICD-10. Also F40 Phobien, F41 Angststörungen…
Psychologin: Aha
Psychologin: In der Zeitung steht immer wieder mal was über Fehldiagnosen. Wie können Sie sich davor schützen?
Ich: Durch eine saubere Anamnese, die vor allem vollständig ist. Und bei Übertragung und Gegenübertragung aufmerksam sein und ggfs. Supervision in Anspruch nehmen.
Psychologin: Was ist Übertragung und Gegenübertragung
Ich: ausführlich mit Beispielen erklärt
Psychologin provokant: Aber Gegenübertragung ist doch toll. Freud war ja immer sehr klar mit seiner Projektion und so. Aber die Humanisten vertreten doch die Ansicht, daß der Therapeut authentisch sein soll. Das kommt dem doch sehr entgegen, wenn er seine Gegenübertragung raus läßt.
Ich hab Sie 3 Sekunden milde angelächelt und dann gesagt: Na, aber es geht doch um den Patienten, nicht um MEINE Gefühle. Entspringt die Gegenübertragung meiner eigenen Lebensgeschichte ist dringend anzuraten, zur Supervision zu gehen!
Psychologin: Was ist Supervision?
Ich: …erklärt…
Psychologin: Dann weiß ich jetzt auch nicht mehr, und sieht den Arzt an.
Arzt: Fallgeschichte 1
Eine 32jährige Bürokauffrau klagt über Sodbrennen und einen schlechten Geschmack im Mund. Sie war vor 14 Tagen bei ihrem Hausarzt. Kein organischer Befund. Der hat sie zum Psychotherapeuten geschickt. Sie erzählt, sie sei in letzter Zeit auch so lustlos und hätte keine Freude mehr an irgendwas. Aber Arbeiten geht sie , das geht schon noch. Sie wiegt 62 kg bei einer Körpergröße von 1,67 m. D.h. sie liegt mit einem BMI von 22 im absoluten Normalbereich. (Sprichts, sieht mich an und rümpft die Nase…!) Was ist ihre Verdachtsdiagnose? (Schaut wieder weg)
Ich: Depression, durch die Lustlosigkeit und Freudlosigkeit, aber auch der schlechte Geschmack im Mund. Fäulnis- und Verwesungsgeruch und –geschmack ist etwas, worüber einige Depressive klagen. Aber es kommen auch Angststörungen in Betracht. Oder eine Eßstörung. Anorexie nicht, dafür ist der BMI zu hoch. Aber Bulimie könnte es sein.
Arzt: Aha. Und woher kann das Sodbrennen noch kommen?
Ich: Organische Ursachen, Psychotrope Substanzen, Nebenwirkungen von Medikamenten…
Arzt zieht die Stirn kraus, rollt die Augen, sieht aus dem Fenster und sagt: Was machen Bulimiker denn?
Ich: Die haben Eßtaumel mit anschließendem selbtinduziertemErbrechen.
Arzt: Ja und?
Ich: Dabei kommt Magensäure hoch, die Speiseröhre wird gereizt. Dadurch kann es zu Reflux kommen.
Arzt: Ja (genervt), es ist Bulimie. Wie geht man damit um, was macht man da?
Ich: Eßstörungen sollten in speziellen Kliniken behandelt werden, wegen des höheren Betreuungsschlüssels. Hier werden Essenverträge gemacht, Gewichtsverträge, Ernährungsberatung, Psychotherapie…
Arzt unterbricht ungehalten: Das würden Sie der Patientin so um die Ohren hauen, daß sie in eine Klink gehen soll und dort lauter Verträge machen soll?
Ich: Nee, das sage ich Ihnen, oder möchten Sie ein therapeutisches Gespräch mit mir führen?
Arzt: Also was können SIE denn mit der Patienten tun?
Ich: Begleitend kann ich stabilisieren, Ich-Stärkend arbeiten, Resilienz aufbauen, Coping Strategien finden… und die Compliance durch eine tragfähige therapeutische Beziehung stärken. Vielleicht läßt sie sich dann ja doch auf einen Klinikaufenthalt ein. Hoffentlich.
Arzt: Bulimie ist also eine schwere Krankheit!
Ich: JA!
Arzt: Es gibt eine Persönlichkeitsstörung, die mit selbstverletzendem Verhalten einhergeht.
Ich: Ich gehe davon aus, daß Sie auf die Borderline-Störung hinauswollen?
Arzt: Ja, was wissen Sie darüber?
Ich: Das ist eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung. 3 Kriterien der impulsiven PS müssen erfüllt sein plus noch weitere Borderline-typische, wie z.B. … und dann habe ich die 5 Kriterien aus der ICD-10 aufgezählt.
Der Arzt nickte derweil ungeduldig, machte mit der Hand Bewegungen, als wenn ich „weiterspulen“ sollte. Als ich die Kriterien aber (flüssig!) runtererzählt hatte, wollte er nichts weiter wissen (ich wollte gerade mit der Therapieform DBT anfangen…)
Arzt: Haben Boderliner eine extrem hohe Suizidgefährdung?
Ich: Ja, sie sind Suizidgefährdet. Das muß als erstes behandelt werden, ebenso wie die therapieverhindernen Verhaltensweisen.
Fallgeschichte 2:
Ein Mann ist im Betrieb als besonders hilfsbereit, immer gutgelaunt, kontaktfreudig und sozusagen als „Firmennudel“ bekannt. An welche Persönlichkeitsstörung denken Sie?
Ich: An die histrionische
Arzt: Nein, so ähnlich. Was zeichnet einen Histrioniker denn aus?
Ich: Oberflächlicher Affekt, Selbstdarstellung, suche nach dem Kick, immer im Mittelpunkt stehen wollen…
Arzt: Hmmm, lassen wir das mal.
Im Nachgespräch sagt er dann, es habe sich um die hyperthyme PS gehandelt. (What? Hab ich noch nie was von gehört. )
Arzt: Was wissen Sie über Johanniskraut?
Ich: Daß es in den Serotoninhaushalt eingreift. Und daß es deswegen nicht genommen werden soll, wenn Antidepressiva genommen werden.
Arzt: Und was wissen Sie über Nebenwirkungen von Johanniskraut?
Ich: Das tut mir leid, darüber weiß ich nix. (das mit der Sonnenempfindlichkeit ist mir einfach nicht eingefallen)
Arzt von oben herab: Na, das macht bestimmt keine Nebenwirkungen, ist ja ein natürliches Mittel. Nicht wahr?
Psychologin: Hihi… machen Pilze ja auch nicht.
Hmpf!
Fallgeschichte 3:
Ein Mann ist stark unruhig und schwitzt extrem. Er erzählt, er habe die Tabletten seiner Frau lange Zeit genommen, die würde er aber nicht mehr nehmen. Woran denken Sie?
Ich: Kalter Benzodiazepin-Entzug. Hier ist Vorsicht geboten.. es kann zu Krampfanfällen, psychotischen Symptomen und einem Delir kommen… das wären alles Notfälle.
Arzt (guckt mich ausnahmsweise mal an): OK
Fallgeschichte 4:
Eine Frau erzählt, ihr Mann sei in letzter Zeit so wahnsinnig aufgekratzt. Er verhalte sich komisch, könne nicht still sitzen, ändere ständig seine Pläne und er habe sogar mehrere Autos gekauft. Er treibe sie noch in den Ruin. Aber mit ihm sei nicht mehr zu reden. Er sei auch ziemlich gereizt in letzter Zeit.
Welchen Verdacht haben Sie?
Ich: Das hört sich nach Manie an
Arzt: Was ist Manie?
Ich: Eine gehobene, gereizte oder expansive Stimmung, die mind. 1 Woche anhält und deutlich abnorm für den Patienten ist. Und dann habe ich die entsprechenden Diagnosekriterien aus der Fallgeschichte aufgeführt.. .u.a. auch „rücksichtsloses und tollkühnes Verhalten…“.
Arzt: Was ist damit gemeint „rücksichtslos und tollkühn“
Ich: z.B. das übermäßige Ausgeben von Geld, wie z.B. auch ausgeben von Lokalrunden etc.
Arzt: Also bin ich manisch, wenn ich eine Lokalrunde ausgebe?
Ich: Nein, ein Symptom macht noch keine Krankheit. Und in Ihrer Fallgeschichte geht das Verhalten auch deutlich darüber hinaus. Das Kaufen mehrerer Autos innerhalb von ein paar Wochen ist in unserem Kulturkreis für die allermeisten Menschen nicht normal.
Arzt: Aha. Und wie kann sich die Frau schützen?
Ich: Sie kann eine Betreuung anregen, für den finanziellen Bereich
Arzt: Was ist ein Rapid-Cycler?
Ich: Das kommt bei affektiven Störungen vor, und zwar wenn es mind. 4 Episoden innerhalb von 1 Jahr gibt.
Arzt runzelt die Stirn.
Fallgeschichte 5:
Ein Mann bricht in Ihrer Praxis zusammen, rutscht vom Stuhl und ist bewußtlos, was machen Sie?
Ich: Ich rufe einen Krankenwagen und überprüfe, ob er wirklich bewußtlos ist.
Arzt ungehalten: hab ich doch gesagt!
Ich: Ok, dann überprüfe ich, ob die Atmung noch intakt ist.
Arzt mega ungeduldig: Ja, ja, ist sie.Und jetzt?
Ich: Lege ich ihn in die stabile Seitenlage
Arzt: Aha, warum?
Ich: Atemwege freihalten, falls er erbricht, daß er nicht daran erstickt
Arzt: Was für eine Störung ist die Manie im triadischen System?
Ich: Wir finden sie im endogenen Formenkreis, es handelt sich um eine Neurotransmitterstörung.
Arzt skeptisch: Aha?!
Arzt: Was ist Resilienz?
Ich: Die persönlichen Grenzen des Aushaltbaren (und erläutert)
Das war’s.
Die Stimmung war von Anfang an alles andere als freundlich und wohlgesonnen.
Ich hab bestanden. :o)
lich,
Anja Flörke