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Lust auf Lerngruppe "Organon"?
§ 82
Ob nun gleich die Heilkunst durch Entdeckung jener großen Quelle der chronischen Krankheiten, auch in Hinsicht der Auffindung der specifischern, homöopathischen Heilmittel, namentlich für die Psora, der Natur der zu heilenden Mehrzahl von Krankheiten um einige Schritte näher gekommen ist, so bleibt doch zur Bildung der Indication, bei jeder zu heilenden chronischen (psorischen) Krankheit, für den homöopathischen Arzt die Pflicht sorgfältiger Auffassung der erforschbaren Symptome und Eigenheiten derselben so unerläßlich, als vor jener Erfindung, indem keine ächte Heilung dieser, so wie der übrigen Krankheiten stattfinden kann, ohne strenge Eigen-Behandlung (Individualisirung) jedes Krankheits-Falles - nur, daß bei dieser Erforschung einiger Unterschied zu beobachten ist, ob das Leiden eine acute und schnell entstandene Krankheit oder eine chronische sei, da bei den acuten die Haupt-Symptome schneller auffallen und den Sinnen erkennbar werden und daher weit kürzere Zeit zur Aufzeichnung des Krankheits-Bildes erforderlich, auch weit weniger dabei zu fragen ist 1),

1) Das hienächst folgende Schema zur Ausforschung der Symptome geht daher nur zum Theil die acuten Krankheiten an.

(indem sich hier das Meiste von selbst darbietet) als bei den weit mühsamer aufzufindenden Symptomen einer schon mehrere Jahre allmälig vorgeschrittenen, chronischen Krankheit.

http://www.homeoint.org/books4/organon/index.htm

Trotz der Entdeckung der Psora, welche für eine echte Heilung von großer Bedeutung ist, muss der Arzt natürlich weiterhin das Arzneimittel sehr sorgfältig und unter Berücksichtigung der spezifischen, individuellen Symptome auswählen. Bei akuten, schnell auftretenden Erkrankungen sind die Hauptsymptome viel rascher zu erkennen als bei den chronischen, langsam über viele Jahre hinweg entstandenen.
Auch das Beste stiftet, falsch verwendet,
Ein Unheil an, das seine Herkunft schändet.

William Shakespeare

Patenkind von Andrea Rapp
Patin von Manuela und Tilly

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§ 83
Diese individualisirende Untersuchung eines Krankheits-Falles, wozu ich hier nur eine allgemeine Anleitung gebe und wovon der Krankheits-Untersucher nur das, für den jedesmaligen Fall Anwendbare beibehält, verlangt von dem Heilkünstler nichts als Unbefangenheit und gesunde Sinne, Aufmerksamkeit im Beobachten und Treue im Aufzeichnen des Bildes der Krankheit.


Für die individuelle Untersuchung eines jeden Krankheitsfalles benötigt der Arzt eine unbefangene Herangehensweise mit gesunden Sinnen, um die Symptome zu erkennen und richtig aufzuzeichnen.


§ 84
Der Kranke klagt den Vorgang seiner Beschwerden; die Angehörigen erzählen seine Klagen, sein Benehmen, und was sie an ihm wahrgenommen; der Arzt sieht, hört und bemerkt durch die übrigen Sinne, was verändert und ungewöhnlich an demselben ist. Er schreibt alles genau mit den nämlichen Ausdrücken auf, deren der Kranke und die Angehörigen sich bedienen. Wo möglich läßt er sie stillschweigend ausreden, und wenn sie nicht auf Nebendinge abschweifen, ohne Unterbrechung 2).

2) Jede Unterbrechung stört die Gedankenreihe der Erzählenden und es fällt ihnen hinterdrein nicht alles genau so wieder ein, wie sie es Anfangs sagen wollten.

Bloß langsam zu sprechen ermahne sie der Arzt gleich Anfangs, damit er dem Sprechenden im Nachschreiben des Nöthigen folgen könne.


Der Arzt macht also eine sorgfältige Anamnese, auch Fremdanamnese mit den Angehörigen, und, was besonders wichtig ist, notiert sich die Symptome genau so, wie die Betroffenen sie betiteln. Er lässt sie ausreden und bittet sie langsam zu sprechen, damit ihm keine Symptomenformulierung entgeht.


§ 85
Mit jeder Angabe des Kranken oder des Angehörigen bricht er die Zeile ab, damit die Symptome alle einzeln unter einander zu stehen kommen. So kann er bei jedem derselben nachtragen, was ihm anfänglich allzu unbestimmt, nachgehends aber deutlicher angegeben wird.


Er notiert die Symptome alle untereinander, so das er später genauere Detailles nachtragen und direkt dahinter schreiben kann.


§ 86
Sind die Erzählenden fertig mit dem, was sie von selbst sagen wollten, so trägt der Arzt bei jedem einzelnen Symptome die nähere Bestimmung nach, auf folgende Weise erkundigt: Er liest die einzelnen, ihm berichteten Symptome durch, und fragt bei diesem und jenem insbesondere: z.B. zu welcher Zeit ereignete sich dieser Zufall? In der Zeit vor dem bisherigen Arzneigebrauche? Während des Arzneieinnehmens? Oder erst einige Tage nach Beiseitesetzung der Arzneien? Was für ein Schmerz, welche Empfindung, genau beschrieben, war es, die sich an dieser Stelle ereignete? Welche genaue Stelle war es? Erfolgte der Schmerz abgesetzt und einzeln, zu verschiedenen Zeiten? Oder war er anhaltend, unausgesetzt? Wie lange? Zu welcher Zeit des Tages oder der Nacht und in welcher Lage des Körpers war er am schlimmsten, oder setzte er ganz aus? Wie war dieser, wie war jener angegebene Zufall oder Umstand - mit deutlichen Worten beschrieben - genau beschaffen?


Anschließend geht er noch ein Mal alle Symptome durch und stellt gezielte Fragen nach z.B. Uhrzeit eines Symptome, Schmerzintensität, -art etc.


§ 87
Und so läßt sich der Arzt die nähere Bestimmung von jeder einzelnen Angabe noch dazu sagen, ohne jedoch jemals dem Kranken bei der Frage schon die Antwort zugleich mit in den Mund zu legen 1)

1) Der Arzt darf z. B. nicht fragen: „war nicht etwa auch dieser oder jener Umstand da?" Dergleichen, zu einer falschen Antwort und Angabe verführende Suggestionen, darf sich der Arzt nie zu Schulden kommen lassen.

oder so daß der Kranke dann bloß mit Ja oder Nein darauf zu antworten hätte; sonst wird dieser verleitet, etwas Unwahres, Halbwahres oder wirklich Vorhandnes, aus Bequemlichkeit oder dem Fragenden zu gefallen, zu bejahen oder zu verneinen, wodurch ein falsches Bild der Krankheit und eine unpassende Curart entstehen muß.


Verboten sind Ja/Nein-Fragen, die der Befragte eventuell aus Unseicherheit, Bequemlichkeit usw. falsch beantwortet. Es müssen offene Fragen sein, ohne den Patienten in irgendeine Richtung hin zu beeinflussen.

http://www.homeoint.org/books4/organon/index.htm
Auch das Beste stiftet, falsch verwendet,
Ein Unheil an, das seine Herkunft schändet.

William Shakespeare

Patenkind von Andrea Rapp
Patin von Manuela und Tilly

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§ 88
Ist nun bei diesen freiwilligen Angaben von mehren Theilen oder Functionen des Körpers oder von seiner Gemüths-Stimmung nichts erwähnt worden, so fragt der Arzt, was in Rücksicht dieser Theile und dieser Functionen, so wie wegen des Geistes oder Gemüths-Zustandes des Kranken 2),

2) Z. B. Wie ist es mit dem Stuhlgange? Wie geht der Urin ab? Wie ist es mit dem Schlafe, bei Tage, bei der Nacht? Wie ist sein Gemüth, seine Laune, seine Besinnungskraft beschaffen? Wie ist es mit dem Apetitt, dem Durste? Wie ist es mit dem Geschmacke, für sich, im Munde? Welche Speisen und Getränke schmecken ihm am besten? Welche sind ihm am meisten zuwider? Hat jedes seinen natürlichen, vollen, oder einen andern, fremdartigen Geschmack? Wie wird ihm nach Essen oder Trinken? Ist etwas wegen des Kopfes, der Glieder, oder des Unterleibes zu erinnern ?

noch zu erinnern sei, aber in allgemeinen Ausdrücken, damit der Berichtgeber genöthigt werde sich speciell darüber zu äußern.


Nachdem die Symptome ausreichend aufgezeichnet worden, die der Patient selbst angeführt hat, fragt der Arzt nach den Körperregionen, der Psyche, Vorliebe und Abneigung gegen Speisen, der Verdauung usw., die noch nicht besprochen wurden. Die Fragestellung ist wieder sehr offen gehalten, damit man den Patienten nicht falsch beeinflusst.



§ 89
Hat nun der Kranke - denn diesem ist in Absicht seiner Empfindungen (außer in verstellten Krankheiten) der meiste Glaube beizumessen - auch durch diese freiwilligen und bloß veranlaßten Aeußerungen dem Arzte gehörige Auskunft gegeben und das Bild der Krankheit ziemlich vervollständigt, so ist es diesem erlaubt, ja nöthig (wenn er fühlt, daß er noch nicht gehörig unterrichtet sei), nähere, speciellere Fragen zu thun 1).

1) Z. B. Wie oft hatte der Kranke Stuhlgang? Von welcher genauen Beschaffenheit? War der weißliche Stuhlgang Schleim oder Koth? Waren Schmerzen beim Abgange, oder nicht? Welche und wo? genau! Was brach der Kranke aus ? Ist der garstige Geschmack im Munde faul, bitter, oder sauer, oder wie sonst? vor oder nach dem Essen und Trinken, oder während desselben? Zu welcher Tageszeit am meisten? Von welchem Geschmacke ist das Aufstoßen? Wird der Urin erst beim Stehen trübe, oder läßt er ihn gleich trübe? Von welcher Farbe ist er, wenn er ihn eben gelassen hat? Von welcher Farbe ist der Satz? - Wie gebehrdet oder äußert der Kranke sich im Schlafe? wimmert, stöhnt, redet oder schreiet er im Schlafe ? erschrickt er im Schlafe? schnarcht er beim Einathmen, oder beim Ausathmen? Liegt er einzig auf dem Rücken, oder auf welcher Seite? Deckt er sich selbst fest zu, oder leidet er das Zudecken nicht? Wacht er leicht auf, oder schläft er allzu fest? Wie befindet er sich gleich nach dem Erwachen aus dem Schlafe ? Wie oft kommt diese, wie oft jene Beschwerde; auf welche jedesmalige Veranlassung kommt sie? im Sitzen, im Liegen, im Stehen oder bei der Bewegung? bloß nüchtern, oder doch früh, oder bloß Abends, oder bloß nach der Mahlzeit, oder wann sonst gewöhnlich? - Wann kam der Frost? war es bloß Frostempfindung, oder war er zugleich kalt? an welchen Theilen? oder war er bei der Frostempfindung sogar heiß anzufühlen? war es bloß Empfindung von Kälte, ohne Schauder? war er heiß, ohne Gesichtsröthe? an welchen Theilen war er heiß anzufühlen? oder klagte er über Hitze, ohne heiß zu sein beim Anfühlen? wie lange dauerte der Frost, wie lange die Hitze? - Wann kam der Durst? beim Froste? bei der Hitze? oder vorher, oder nachher? wie stark war der Durst, und worauf? - Wann kommt der Schweiß? beim Anfange, oder zu Ende der Hitze? oder wie viel Stunden nach der Hitze ? im Schlafe oder im Wachen? wie stark ist der Schweiß? heiß oder kalt? an welchen Theilen? von welchem Geruche? - Was klagt er an Beschwerden vor oder bei dem Froste? was bei der Hitze? was nach derselben? was bei oder nach dem Schweiße? Wie ist es (beim weiblichen Geschlechte) mit dem monatlichen Blutflusse oder andern Ausflüssen? u.s.w .


Erst danach kann er gezieltere Fragen stellen. Man sieht, wei sehr die Befragung ins Detaille geht!


§ 90
Ist der Arzt mit Niederschreibung dieser Aussagen fertig, so merkt er sich an, was er selbst an dem Kranken wahrnimmt 2)

2) Z. B. Wie sich der Kranke bei dem Besuche gebehrdet hat, ob er verdrießlich, zänkisch, hastig, weinerlich, ängstlich, verzweifelt oder traurig, oder getrost, gelassen, u.s.w.; ob er schlaftrunken oder überhaupt unbesinnlich war? ob er heisch, sehr leise, oder ob er unpassend, oder wie anders er redete? wie die Farbe des Gesichts und der Augen, und die Farbe der Haut überhaupt, wie die Lebhaftigkeit und Kraft der Mienen und Augen, wie die Zunge, der Athem, der Geruch aus dem Munde, oder das Gehör beschaffen ist? wie sehr die Pupillen erweitert, oder verengert sind? wie schnell, wie weit sie sich im Dunkeln und Hellen verändern? wie der Puls? wie der Unterleib? wie feucht oder trocken, wie kalt oder heiß die Haut an diesen oder jenen Theilen oder überhaupt anzufühlen ist? ob er mit zurückgebogenem Kopfe, mit halb oder ganz offenem Munde, mit über den Kopf gelegten Armen, ob er auf dem Rücken, oder in welcher andern Stellung er liegt? mit welcher Anstrengung er sich aufrichtet, und was von dem Arzte sonst auffallend Bemerkbares an ihm wahrgenommen werden konnte.

und erkundigt sich, was demselben hievon in gesunden Tagen eigen gewesen.


Schließlich notiert sich der Arzt noch, was ihm selbst an dem Kranken aufällt und fragt diesen, was davon bereits früher, als er noch gesund war, schon bestand, z.B. ob er schon immer niedrigen Blutdruck hatte, schon immer eher ein ängstlicher Typ war, schon immer leicht gefroren hat usw.
Auch das Beste stiftet, falsch verwendet,
Ein Unheil an, das seine Herkunft schändet.

William Shakespeare

Patenkind von Andrea Rapp
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§ 91
Die Zufälle und das Befinden des Kranken, während eines etwa vorgängigen Arzneigebrauchs, geben nicht das reine Bild der Krankheit; diejenigen Symptome und Beschwerden hingegen, welche er vor dem Gebrauche der Arzneien oder nach ihrer mehrtägigen Aussetzung litt, geben den ächten Grundbegriff von der ursprünglichen Gestalt der Krankheit, und vorzüglich diese muß der Arzt sich aufzeichnen. Er kann auch wohl, wenn die Krankheit langwierig ist, den Kranken, im Fall er bis jetzt noch Arznei genommen hatte, einige Tage ganz ohne Arznei lassen, oder ihm indeß etwas Unarzneiliches geben und bis dahin die genauere Prüfung der Krankheitszeichen verschieben, um die dauerhaften, unvermischten Symptome des alten Uebels in ihrer Reinheit aufzufassen und dannach ein untrügliches Bild von der Krankheit entwerfen zu können.


Es geben nur diejenigen Symptome die ursprüngliche Gestalt der Krankheit wieder, die ohne gleichzeitige Gabe einer Arznei auftreten, die also auch vorher schon bestanden. Zum Aufdecken/Wiederholen dieser Symptome muss der Kranke die Arznei eventuell einige Tage absetzen.


§ 92
Ist es aber eine schnell verlaufende Krankheit, und leidet ihr dringender Zustand keinen Verzug, so muß sich der Arzt mit dem, selbst von den Arzneien geänderten Krankheitszustande begnügen, wenn er die, vor dem Arzneigebrauche bemerkten Symptome nicht erfahren kann, - um wenigstens die gegenwärtige Gestalt des Uebels, das heißt, die mit der ursprünglichen Krankheit vereinigte Arzneikrankheit, welche durch die oft zweckwidrigen Mittel gewöhnlich beträchtlicher und gefährlicher als die ursprüngliche ist, und daher oft dringend eine zweckmäßige Hülfe erheischt, in ein Gesammtbild zusammenfassen und, damit der Kranke an der genommenen schädlichen Arznei nicht sterbe, mit einem passend homöopathischen Heilmittel besiegen zu können.


Dies kann nicht gelten für schnell verlaufende, vielleicht tödliche Erkrankungen. Hier muss der Arzt mit der Gesammtheit der Symptome aus ursprünglicher und hinzugetretener Arzneikrankheit arbeiten.


§ 93
Ist die Krankheit seit Kurzem, oder bei einem langwierigen Uebel, vor längerer Zeit durch ein merkwürdiges Ereigniß verursacht worden, so wird der Kranke - oder wenigstens die im Geheim befragten Angehörigen- es schon angehen, entweder von selbst und aus eignem Triebe oder auf eine behutsame Erkundigung 1).

1) Den etwanigen entehrenden Veranlassungen, welche der Kranke oder die Angehörigen nicht gern, wenigstens nicht von freien Stücken gestehen, muß der Arzt durch klügliche Wendungen der Fragen oder durch andere Privat-Erkundigungen auf die Spur zu kommen suchen. Dahin gehören: Vergiftung oder begonnener Selbstmord, Onanie, Ausschweifungen gewöhnlicher oder unnatürlicher Wohllust, Schwelgerei in Wein, Liqueuren, Punsch und andern hitzigen Getränken, Thee, oder Kaffee,- Schwelgen in Essen überhaupt oder in besonders schädlichen Speisen, - venerische oder Krätz-Ansteckung, unglückliche Liebe, Eifersucht, häußlicher Unfriede, Aergerniß, Gram über ein Familien-Unglück, erlittene Mißhandlungen, verbissene Rache, gekränkter Stolz, Zerrüttung der Vermögensumstände, - abergläubige Furcht, - Hunger- oder etwa ein Körpergebrechen an den Schamtheilen, ein Bruch, ein Vorfall u.s.w.

http://www.homeoint.org/books4/organon/index.htm

War ein bestimmtes Ereignis Auslöser für eine Erkrankung, gilt es dieses herauszufinden, eventuell auch durch Befragung der Angehörigen.
Auch das Beste stiftet, falsch verwendet,
Ein Unheil an, das seine Herkunft schändet.

William Shakespeare

Patenkind von Andrea Rapp
Patin von Manuela und Tilly

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§ 94
Bei Erkundigung des Zustandes chronischer Krankheiten, müssen die besondern Verhältnisse des Kranken in Absicht seiner gewöhnlichen Beschäftigungen, seiner gewohnten Lebensordnung und Diät, seiner häuslichen Lage u.s.w. wohl erwogen und geprüft werden, was sich in ihnen Krankheit Erregendes oder Unterhaltendes befindet, um durch dessen Entfernung die Genesung befördern zu können (1).

1) Vorzüglich muß bei chronischen Krankheiten des weiblichen Geschlechtes, auf Schwangerschaft, Unfruchtbarkeit, Neigung zur Begattung, Niederkunften, Fehlgeburten, Kindersäugen, Abgänge aus der Scheide und auf den Zustand des monatlichen Blutflusses Rücksicht genommen werden. Insbesondere ist, in Betreff des letztern die Erkundigung nicht zu versäumen, ob er in zu kurzen Perioden wiederkehre oder über die gehörige Zeit aus bleibe, wie viele Tage er anhält, ununterbrochen oder abgesetzt? in welcher Menge überhaupt, wie dunkel von Farbe, ob mit Leucorrhöe (Weißfluß) vor dem Eintritte oder nach der Beendigung? vorzüglich aber mit welchen Beschwerden Leibes und der Seele, mit welchen Empfindungen und Schmerzen vor dem Eintritte, bei dem Blutflusse oder nachher? Ist Weißfluß bei ihr; wie ist er beschaffen? Von welchen Empfindungen begleitet? in welcher Menge? Unter welchen Bedingungen und auf welche Veranlassungen erscheint er?


Wichtig ist, ob sich in der Umgebung des chronisch Kranken, in seiner Lebensart etc. etwas die Krankheit Unterhaltendes befindet. Dann muss dieses natürlich entfernt, geändert werden, damit er genesen kann.
Bei Frauen sind besonders alle Informationen bezügl. Schwangerschaften, Fehlgeburten, Menstruation, Ausfluss usw. von großer Bedeutung.



§ 95
Die Erforschung der obgedachten und aller übrigen Krankheitszeichen, muß deßhalb bei chronischen Krankheiten so sorgfältig und umständlich als möglich geschehen und bis in die kleinsten Einzelheiten gehen, theils weil sie bei diesen Krankheiten am sonderlichsten sind, denen in den schnell vorübergehenden Krankheiten am wenigsten gleichen, und bei der Heilung, wenn sie gelingen soll, nicht genau genug genommen werden können; theils weil die Kranken der langen Leiden so gewohnt werden, daß sie auf die kleinern, oft sehr bezeichnungsvollen (charakteristischen), bei Aufsuchung des Heilmittels viel entscheidenden Nebenzufälle wenig oder gar nicht mehr achten und sie fast für einen Theil ihres natürlichen Zustandes, fast für Gesundheit ansehen, deren wahres Gefühl sie bei der, oft fünfzehn-, zwanzigjährigen Dauer ihrer Leiden ziemlich vergessen haben, es ihnen auch kaum einfällt, zu glauben, daß diese Nebensymptome, diese übrigen, kleinern oder größern Abweichungen vom gesunden Zustande, mit ihrem Hauptübel im Zusammenhange stehen könnten.


Die Erforschung der Gesammtheit der Symptome bei chronisch Kranken kann nicht gründlich genug geschehen. Gerade die für das Auffinden des richtigen Arzneimittels so wichtigen charakteristischen Nebensymptome müssen aufgedeckt werden. Oft hält der Patient diese gar nicht für Krankheitszeichen oder sie fallen sie ihm sogar überhaupt nicht mehr auf, da sie nach der langen Krankheitsdauer völlig normal geworden sind.


§ 96
Zudem sind die Kranken selbst von so abweichender Gemüthsart, daß einige, vorzüglich die sogenannten Hypochondristen und andere sehr gefühlige und unleidliche Personen, ihre Klagen in allzu grellem Lichte aufstellen und, um den Arzt zur Hülfe aufzureizen, die Beschwerden mit überspannten Ausdrücken bezeichnen 1).

1) Eine reine Erdichtung von Zufällen und Beschwerden wird man wohl nie bei Hypochondristen, selbst nicht bei den unleidlichsten, antreffen, - dieß beweist die Vergleichung ihrer zu verschiedenen Zeiten geklagten Beschwerden, während der Arzt ihnen nichts oder etwas ganz Unarzneiliches eingiebt; - nur muß man von ihren Übertreibungen etwas abziehen, wenigstens die Stärke ihrer Ausdrücke auf Rechnung ihres übermäßigen Gefühls setzen; in welcher Hinsicht selbst diese Hochstimmung ihrer Ausdrücke über ihre Leiden, für sich schon zum bedeutenden Symptome in der Reihe der übrigen wird, aus denen das Bild der Krankheit zusammengesetzt ist. Bei Wahnsinnigen und bei böslichen Krankheits-Erdichtern ist es eine andere Sache.


Hypochonder oder sehr leidvolle Patienten neigen manchmal dazu, ihr Leiden mit überzogenen Ausdrücken darzustellen, damit der Arzt sich vielleicht noch mehr anstrengt. Sie werden jedoch keine Symptome erfinden. Man sollte dann die Stärke ihrer Ausdrücke etwas mildern und ihr übermäßiges, sensibles, übertreibendes Gemüt selbst als wichtiges Symptom erkennen.


§ 97
Andere, entgegengesetzt geartete Personen aber, halten theils aus Trägheit, theils aus mißverstandener Scham, theils aus einer Art milder Gesinnung oder Blödigkeit, mit einer Menge von Beschwerden zurück, bezeichnen sie mit undeutlichen Ausdrücken oder geben mehrere als unbedeutend an.


Es gibt aber auch die Patienten, die aus verschiedensten Gründen (Faulheit, Scham) wichtige Symptomen verschweigen, sie vielleicht als unbedeutend ansehen oder nur ungenaue Angaben machen.

http://www.homeoint.org/books4/organon/index.htm
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Ein Unheil an, das seine Herkunft schändet.

William Shakespeare

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§ 98
So gewiß man nun auch, vorzüglich den Kranken selbst über seine Beschwerden und Empfindungen zu hören und besonders den eignen Ausdrücken, mit denen er seine Leiden zu verstehen geben kann, Glauben beizumessen hat, - weil sie im Munde der Angehörigen und Krankenwärter verändert und verfälscht zu werden pflegen, - so gewiß erfordert doch auf der andern Seite, bei allen Krankheiten, vorzüglich aber bei den langwierigen, die Erforschung des wahren, vollständigen Bildes derselben und seiner Einzelheiten besondere Umsicht, Bedenklichkeit, Menschenkenntniß, Behutsamkeit im Erkundigen und Geduld, in hohem Grade.

§ 99
Im Ganzen wird dem Arzte die Erkundigung acuter, oder sonst seit Kurzem entstandener Krankheiten leichter, weil dem Kranken und den Angehörigen alle Zufälle und Abweichungen von der, nur unlängst erst verlorenen Gesundheit, noch in frischem Gedächtnisse, noch neu und auffallend geblieben sind. Der Arzt muß zwar auch hier alles wissen; er braucht aber weit weniger zu erforschen; man sagt ihm alles größtentheils von selbst.

http://www.homeoint.org/books4/organon/index.htm

Die genaue Erforschung der Symptome ist bei akuten Krankheiten viel einfacher als bei chronischen, da sie bei den erst seit Kurzem bestehenden Erkrankungen noch viel augenfälliger sind und der gesunde Zustand noch genau erinnert wird. Chronisch Kranke nehmen Krankheitszeichen nach vielen Jahren oft als normal hin und vergessen sie zu erwähnen, z.B. dass sie früher nie so leicht gefroren haben, nicht so schnell reizbar waren oder sich viel besser konzentrieren konnten. Es erfordert viel Menschenkenntnis, Einfühlungsvermögen und Erfahrung, um das echte, vollständige Bild der Erkrankung zu erstellen.
Auch das Beste stiftet, falsch verwendet,
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William Shakespeare

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Zusammenfassung der Paragraphen 59-99:


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Auch das Beste stiftet, falsch verwendet,
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§ 100
Bei Erforschung des Symptomen-Inbegriffs der epidemischen Seuchen und sporadischen Krankheiten, ist es sehr gleichgültig, ob schon ehedem etwas Aehnliches unter diesem oder jenem Namen in der Welt vorgekommen sei. Die Neuheit oder Besonderheit einer solchen Seuche macht keinen Unterschied weder in ihrer Untersuchung, noch Heilung, da der Arzt ohnehin das reine Bild jeder gegenwärtig herrschenden Krankheit als neu und unbekannt voraussetzen und es von Grunde aus für sich erforschen muß, wenn er ein ächter, gründlicher Heilkünstler sein will, der nie Vermuthung an die Stelle der Wahrnehmung setzen, nie einen, ihm zur Behandlung aufgetragenen Krankheitsfall weder ganz, noch zum Theile für bekannt annehmen darf, ohne ihn sorgfältig nach allen seinen Aeußerungen auszuspähen; und dieß hier um so mehr, da jede herrschende Seuche in vieler Hinsicht eine Erscheinung eigner Art ist und bei genauer Untersuchung sehr abweichend von allen ehemaligen, fälschlich mit gewissen Namen belegten Seuchen befunden wird; - wenn man die Epidemien von sich gleich bleibendem Ansteckungszunder, die Menschenpocken, die Masern u.s.w., ausnimmt.

http://www.homeoint.org/books4/organon/index.htm

Die Symptome jeder Erkrankung, Epidemie etc. muss, auch wenn sie wiederholt auftritt, jedes Mal von neuem aufgenommen werden. Der Arzt darf keine Vermutungen anstelle der tatsächlichen Wahrnehmung setzen, nie etwas für bereits bekannt erklären. Nur die Epedemien wie Masern, Pocken haben dan gleichem Ansteckungszunder. Gemeint sind wahrscheinlich Bakterien, Viren etc., die nicht mutieren, oder besser gesagt, die dynamisch, verstimmende Wirkung der Erreger auf die Lebensenergie, nehme ich mal an.
Auch das Beste stiftet, falsch verwendet,
Ein Unheil an, das seine Herkunft schändet.

William Shakespeare

Patenkind von Andrea Rapp
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§ 101
Es kann wohl sein, daß der Arzt beim ersten ihm vorkommenden Falle einer epidemischen Seuche, nicht gleich das vollkommne Bild derselben zur Wahrnehmung bekommt, da jede solche Collectivkrankheit erst bei näherer Beobachtung mehrer Fälle den Inbegriff ihrer Symptome und Zeichen an den Tag legt. Indessen kann der sorgfältig forschende Arzt schon beim ersten und zweiten Kranken dem wahren Zustande oft so nahe kommen, daß er eines charakteristischen Bildes davon inne wird - und dann schon ein passendes, homöopathisch angemessenes Heilmittel für sie ausfindet.

http://www.homeoint.org/books4/organon/index.htm

Bei epidemischen Erkrankungen kann es sein, dass der Arzt nur durch die Sympome mehrerer Erkrankter das vollständige Krankheitbild erhält, oder aber, dass er durch sorgfältige Erforschung der Symptome schon beim ersten oder zweiten Fall das passende Bild erhält und damit sofort das richtige Mittel findet.
Auch das Beste stiftet, falsch verwendet,
Ein Unheil an, das seine Herkunft schändet.

William Shakespeare

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